Am Tag 4 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Mariam Aboukerim vor:

“Mache Dir Deine Erwartungen bewusst”

Interview mit Mariam Aboukerim

  • Können Sie sich bitte kurz vorstellen und ein paar Worte zu Ihrer Person sagen?

Mein Name ist Mariam Aboukerim, ich bin 26 Jahre alt und arbeite seit einem Jahr als Erzieherin in Bremen. Zurzeit arbeite ich in der Flüchtlingshilfe in Bremen-Hemelingen, wo ich 33 unbegleitete geflüchtete Jugendliche betreue.  

In meiner Arbeit habe ich bereits mit Systemsprengern gearbeitet, also mit Kindern, die schon in vielen Jugend-Hilfseinrichtungen waren gearbeitet. Wir haben ihnen einen geschützten Lebensraum geboten. Seit 2020 bin ich auch in der Schwarzen Community in Bremen aktiv. Wir haben eine politische Gruppe der Black Community Foundation (heute Blaktivity) gegründet und Demonstrationen organisiert. Ich habe auch an Projekten in Bremen teilgenommen, die sich mit dem Bremer Stadtbild und den strukturellen Überbleibseln der Kolonialzeit beschäftigen. Ich habe mit Kindern Kunst geschaffen, Menschen zusammengebracht und Workshops zu Themen wie Rassismus, kritisches Denken und Sprechen in der Gesellschaft gegeben.

  • Was hat Sie dazu bewogen, Ihren Beruf zu wählen?

Als Kind wollte ich gerne Schauspielerin werden, weil ich es spannend fand, in verschiedene Rollen zu schlüpfen und viele Menschen zu treffen. Ich glaube, dass sich dieser Wunsch in meiner Berufswahl fortgesetzt hat. Ich war selbst ein Hortkind. Da konnte ich immer wieder in Rollen schlüpfen und konnte ganz viele Sachen ausprobieren.  Ich konnte auch malen, singen und tanzen. Ich war damals in vielen verschiedenen Gruppen. Ich war beim Leistungssport, im Gospelchor und habe früh mit dem Journaln angefangen. Mich viel mit mir selbst zu beschäftigen und auseinanderzusetzen, habe ich alles im Hort gelernt. Ich hatte tolle Betreuer im Hort, die mich immer wieder ermutigt haben. Als ich dann 14 war, habe ich meinen Zukunftstag im Hort gemacht indem ich selber war und habe da dann einen Kunstwettbewerb kuratiert, wo niemand verlieren konnte. Das war mir sehr wichtig. Und dann habe ich gemerkt, dass es mir sehr viel Spaß macht und mir sehr viel Energie gibt, Menschen zusammenzubringen. Ich war von der Idee begeistert, dass jeder etwas Besonderes kann und dass jeder vom anderen etwas lernen kann. Das war das erste Mal, dass ich darüber nachgedacht habe, in der Sozialarbeit tätig zu werden. 

  • Hatten Sie als Frau und auf Grund Ihrer Hautfarbe Erfahrungen mit Ablehnung?

Ja, das habe ich sicherlich. Als Kind war mir das, glaube ich, nicht so bewusst. Ich habe natürlich relativ früh gemerkt, dass die Kinder, mit denen ich in einer Klasse war, anders aussahen als ich, oder ich sah anders aus als diese Kinder. Ich kann das jetzt im Nachhinein auf jeden Fall besser erfassen und verstehen, was mir jetzt als erwachsene Frau den Heilungsprozess erleichtert. Ich hatte dann irgendwann in der Grundschule das Glück, dass noch ein schwarzes Mädchen in unserer Klasse war. Und das hat mich auf jeden Fall sofort gestärkt. Im Nachhinein gab es die Schwierigkeit, dass ich dachte, ich bin anders und ich gehöre nicht dazu, weil ich anders aussehe. Als ich angefangen habe in der Geflüchteten Einrichtung zu arbeiten, bin ich natürlich mit einer gewissen Erwartungshaltung dorthin gegangen, auch was die Zusammenarbeit im Kollegium angeht. Und trotzdem habe ich Situationen erlebt, wo mir Kolleg*innen einfach in die Haare gefasst haben oder gesagt haben, dass ich nicht so emotional sein soll. Es ist schon schwierig, nicht direkt in den Stereotyp der “angry black woman” zu verfallen, wenn ich einfach mal sagen will, dass ich es übergriffig finde, wie die Leute mit mir reden und generell umgehen.

  • War das negative Bild, das Sie von sich selbst hattest, das Ergebnis Ihrer eigenen Gedanken oder war es eine Reaktion auf das Verhalten der Menschen Ihnen gegenüber?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich denke, es ist eine Art Wechselwirkung. Ich denke gerne an das Beispiel einer Pflanze, die man in sein Zimmer stellt und die nach ein paar Wochen nicht so richtig blüht. In diesem Fall sage ich der Pflanze nicht: „Warum willst du hier nicht blühen, warum funktioniert das nicht?“ Ich überprüfe, ob sie am richtigen Fenster steht, ob sie genügend Licht bekommt, ob ich sie oft genug gieße, ob sie die richtige Erde bekommt. Ich überlege, was ich tun kann, um der Pflanze zu helfen. Wenn ich mich in einem toxischen Umfeld befinde, in dem ich nicht wachsen kann, denke ich natürlich, dass es an mir liegt. Bis ich eine neue Position einnehmen kann, in der ich verstehe, dass es an meiner Umgebung liegt. Ich muss verstehen, dass es auch davon abhängt, mit wem ich mich umgebe und wessen Meinung ich für richtig halte. Bis zu einem gewissen Alter sind unsere Vorstellungen auch sehr stark von unseren Bezugspersonen geprägt.

  • Haben Sie Personen als Vorbilder, die für Sie eine Quelle der Inspiration waren?

Mein Vorbild war lange Zeit Rihanna (lacht). Rückblickend kann ich sagen, dass ich nicht so viele greifbare schwarze Vorbilder hatte, vor allem keine weiblichen in Deutschland! Wenn ich an die Musik denke, die ich gehört habe, dann waren es hauptsächlich männliche Rapper oder schwarze Frauen wie Beyoncé oder Mariah Carey, die über ihre Emotionen sangen. Ich beschäftigte mich mit ihren Texten und entdeckte, dass man Emotionen in Worte fassen kann.  Auf diese Weise habe ich auch gelernt, Englisch zu sprechen. Das hat mir persönlich sehr geholfen, mit meinen eigenen Gefühlen besser umzugehen und diese in eigenen Songtexten, die ich heute schreibe und performe, zu verarbeiten.

  • Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Perspektiven und Gefühlen in Ihrem Alltag und Ihrer Arbeit um?

Ich habe relativ früh gemerkt, dass es nicht darum geht, wie ich aussehe oder wie meine Freundinnen aussehen, sondern darum, was wir gemeinsam haben, was wir können oder was wir voneinander lernen können. Ich versuche mir immer wieder bewusst zu machen, dass ich in meiner Bubble bin und mit meinen Leuten über die Themen spreche, die mich bewegen. Und da gibt es natürlich eine gewisse Sensibilität. In meiner Arbeit versuche ich immer, Perspektiven zu beziehen und über meine Gefühle und Bedürfnisse in der jeweiligen Situation zu kommunizieren. Ich versuche, auf jemanden so einzugehen, dass ich mich frage, aus welchem Gefühl heraus handelt diese Person und warum muss sie mir jetzt sagen “Boah für eine schwarze Frau bist du echt schön!” oder „Wow, du sprichst ja echt gut Deutsch!”. Vielleicht meint es die Person ja gar nicht böse und auch wenn ich die gleiche Bemerkung oder Frage schon 100 Mal gehört habe. Mein Motto in solchen Situationen ist: Resilienz. Dennoch bemühe ich mich meinen Verletzungen durch alltägliche Mikroaggressionen durch mein Umfeld, Raum zu geben und einen Ausgleich für mich zu schaffen. 

  • Woher und wie haben Sie die Motivation und die Kraft zum Weitermachen trotz aller Schwierigkeiten?

Nach der Demonstrationswelle in 2020 war es auch für mich ein ganz großer Punkt, meinen Selbstwert aufrechtzuerhalten. Ich habe gemerkt, dass wenn ich Hilfe benötige, ich tendiere, die Gedanken und Gefühle anderer Menschen anzunehmen.  Deswegen bin ich äußerst kritisch geworden, mit wem ich mich über was austausche. Ich muss mich immer wieder daran erinnern, dass das, womit ich mich umgebe, also sei es die Medien, die Freizeitaktivitäten oder die Menschen, Dinge sein müssen, die mir eine positive Energie geben sollen. Was mir auch hilft, ist mein Tagebuch zu schreiben. Ich schreibe schon seit meiner Kindheit. Ich habe auch verschiedene Techniken, die mir helfen, wie zum Beispiel Sachen auf einem Zettel aufschreiben und den Zettel verbrennen oder zerknüllen und wegschmeißen. Ich versuche auch zu erkennen, dass es auch schöne Sachen im Leben gibt und dass ich von ihnen umgeben bin. Das können einfache Dinge sein, wie eine gemütliche Atmosphäre, meine Lichterkette oder umgeben von der Natur, meinen Pflanzen zu sein. Sie erinnern mich daran, dass ich von Leben und Licht umgeben bin, auch wenn es manchmal nicht so scheint. Ich gönne mir auch Ruhezeiten und kommuniziere das sehr klar.

  • Wie können Sie sich und die Frauen ausländischer Herkunft in Ihrem Umfeld stärken?

Gerade durch 2020 und den Tod von George Floyd kam eine riesige Welle des Aktivismus auf uns alle zu und die Leute kamen plötzlich zusammen. Natürlich gab es auch vorher schon Bewegungen, wo Menschen zusammenkamen. Etwas, das ich sehr wichtig finde, weil ich es in den letzten Wochen gelernt habe, möchte ich vorwegsagen. 

Kolorismus unter Schwarzen Menschen ist auf jeden Fall ein mächtiges Thema. Ich komme mit Frauen zusammen, die so aussehen wie ich oder ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich. Wenn wir zusammenkommen, geht es darum, dass wir uns gegenseitig stärken, aber vor allem auch darum, dass wir unsere Brüder und Schwestern, die Dark Skins sind, die benachteiligt sind oder die aus anderen marginalisierten Randgruppen kommen, mit einbeziehen. Denn, wenn wir das nicht tun, stehen wir immer wieder am Anfang. 

In den letzten zwei Jahren bin ich mit Menschen über kreative Prozesse für die Aufklärungsarbeit zusammengekommen. Wir haben zum Beispiel an einem Kunstwettbewerb des Museums hier in Bremen teilgenommen, wo es darum ging zu zeigen, wie wir uns mit den kolonialen Kontinuitäten in Bremen fühlen, also mit den Straßennamen und mit den Sehenswürdigkeiten, die nach Kolonialherren benannt sind. Dann bin ich auf die Idee gekommen mit Leinwänden zu arbeiten und mit verschiedenen Techniken. In diesem Projekt habe ich mit meiner Kollegin Maimuna Sallah, die auch in der rassismuskritischen Bildungsarbeit in Bremen tätig ist zusammengearbeitet. Da habe ich wieder die verschiedenen Fähigkeiten und Fertigkeiten von verschiedenen Frauen in einem Projekt zusammengebracht.

  • Haben Sie ein bestimmtes Buch, eine Zeitschrift, einen Podcast, ein Tool oder eine Technik, die Sie lieben und mit uns teilen können?

Ich lese gerne die Bücher Eckhart Tolle. Ich lese sein Buch „Leben und Jetzt“ sehr oft, weil es mich immer daran erinnert, dass, egal wie schwierig es ist, das zählt, was hier und jetzt passiert. Ich bastele auch Visionstafeln, die ich immer auf meinem Schreibtisch vor mir hängen habe.

  • Welche Botschaft würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Mache Dir Deine Erwartungen bewusst. Du hast viel für andere getan und tust es weiterhin, weil es Dich antreibt. Aber sei Dir immer bewusst, dass Du auch für Dich selbst einstehen musst. Das wird Dich Kraft kosten. Versuche also, die Balance zwischen Dir und Deinen Bedürfnissen und den Anliegen der Außenwelt zu halten. Denn Du bist die Hauptakteurin in Deinem Leben, die Person, die am längsten an Deiner Seite sein wird, die Person, um die Du Dich am meisten kümmern musst. Also sei gut zu Dir und nicht zu oft zu hart. You got this!

Am Tag 3 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Nicole Benewaah vor:

“Bitte um Hilfe, wenn Du sie brauchst”

Nicole Benewaah ist Gewinnerin des „Female in Focus“ Preises in 2020, eine Ausschreibung des British Journal of Photography.

Interview mit Nicole Benewaah

  • Können Sie sich bitte kurz vorstellen und ein paar Worte zu Ihrer Person sagen?

Ich bin Fotografin und geboren in Bremen. Ich habe meine Kindheit zwischen Deutschland und Ghana verbracht. Ich bin 29 Jahre alt und habe im Alter von drei bis sechs Jahren in Kumasi in Ghana gelebt. 

  • Wie kam es dazu, dass Sie in Deutschland geboren und die ersten Jahre in Ghana aufgewachsen sind?

Das ist eigentlich relativ einfach. Meine Mutter war damals relativ neu hier in Deutschland und die einzige Familie, die sie hatte, war in Ghana. Es war damals einfach die beste Lösung für sie, mich nach Kumasi für ein paar Jahre zu schicken, damit sie erstmal auf die Beine kommt.

  • Wie fühlen Sie sich als junge Frau mit ghanaischer Abstammung in Deutschland?

Ich denke, weil ich als Kind meine ersten Erinnerungen in Ghana hatte, war es schon anders, als ich nach Deutschland kam. Als Kind in Ghana musste ich nie über meine Hautfarbe nachdenken, aber auf einmal nahmen mich Leute auf eine andere Art und Weise wahr. Dies war mein erster Eindruck von Deutschland.

  • Was war der entscheidende Punkt bei der Wahl Ihres Berufs als Fotografin?

Ich glaube, meine Liebe zur Fotografie kommt daher, dass ich mich schon immer dafür interessiert habe, Momente festzuhalten und Geschichten zu erzählen. Ich habe auch bemerkt, dass die Art und Weise, wie schwarze Menschen sich untereinander porträtieren, sich von der Art und Weise unterscheidet, wie weiße Menschen dies auf dem afrikanischen Kontinent tun. Ich erinnere mich noch an die Fotos, die uns hier in Deutschland in der Kirche gezeigt wurden. Es waren immer Bilder von extrem armen Kindern oder Bilder von Orten, die sich schon sehr lange verändert hatten. Ich erkannte und fand das Ghana, das ich kannte, in diesen Bildern nicht wieder. Außerdem wurden alle schwarzen Menschen in der Fotografie auf homogene Weise dargestellt. Mit meiner fotografischen Arbeit möchte ich dazu beitragen, eine breitere Vielfalt der Erfahrungen und Perspektiven von schwarzen Menschen sichtbar zu machen und dadurch zu einem besseren Verständnis und einer größeren Wertschätzung für die Vielfalt innerhalb und außerhalb der Community beizutragen.

  • Wie hat Ihre Familie reagiert, als Sie ihnen erzählt haben, dass Sie Fotografin werden wollen?

Meine Mutter hat zuerst gedacht, dass ich Journalistin werden möchte (lacht). Was im Grunde nicht ganz falsch ist, denn man macht auch mit Fotos Journalismus. Aber weil meine Arbeit eher einen künstlerischen Aspekt hat, ist sie für sie manchmal etwas zu abstrakt. Trotzdem unterstützt sie mich und ihre Hauptsorge ist, dass ich glücklich bin. 

  • Welche Herausforderungen haben Sie auf Ihrem Weg als Fotografin erlebt?

Eine Herausforderung war sicherlich, als Frau und schwarze Person in einer Branche zu arbeiten, die überwiegend von Männern und Menschen aus anderen ethnischen Gruppen dominiert wird. Eine andere Herausforderung war, meine eigene Identität als Fotografin zu finden und meinen eigenen Stil zu entwickeln.

  • Waren Sie schon einmal so entmutigt, dass Sie aufgeben wollten?

Ich habe mit 15 Jahren mein erstes Praktikum in der Fotografie gemacht. Ich war damals der Meinung, dass man mit Fotografie kein Geld verdienen kann. Außerdem fehlte es mir an Selbstvertrauen. Ich glaubte nicht an mich und dachte, dass ich zu nichts fähig sei. Meine Schullaufbahn war lang, weil ich die Hauptschule und die Realschule besucht, bevor ich ich meine Fachhochschulreife abgeschlossen hatte. Ich war überzeugt, dass ich nicht den Beruf wählen und ausüben konnte, für den ich mich begeisterte. Diesen Mangel an Selbstvertrauen spürte ich auch, als es um die Entscheidung ging, ob ich an der Universität weiterstudieren sollte oder nicht. Ich entschied mich dazu, ein freiwilliges soziales Jahr zu machen, das ich in Ghana absolvierte, danach arbeitete ich zunächst im Einzelhandel. Später habe ich mich erfolglos um einen Ausbildungsplatz beworben. Ich bekam nur Ablehnungen. Trotz dieser zahlreichen Absagen konnte ich die Motivation aufbringen, mich an einer Universität einzuschreiben, und es hat geklappt!

  • Wie kam es zu diesem Mangel an Selbstvertrauen?

Ich glaube, ich wurde von den üblichen Klischees gegenüber Schwarzen beeinflusst: Man ist nicht kompetent, man hat keine Fähigkeiten, etc. Leider war ich nicht die Einzige in dieser Situation. In meinem Freundeskreis hatten wir das Gefühl, nicht zu den „Auserwählten“ zu gehören. Die allgemeine Stimmung war, dass wir uns mit dem, was uns geboten wurde, zufriedengeben mussten und nicht mehr verlangen sollten. Ich durfte zum Beispiel keine Fremdsprache lernen, unter dem Vorwand, dass ich laut meinen Lehrern zuerst Deutsch lernen müsse. Ich dachte wirklich, dass ich nicht intelligent genug war, um kreative Dinge zu tun oder gut in Mathematik zu sein. Und doch war ich in Ghana, bevor ich nach Deutschland kam, eine der besten Schüler*innen in Mathe.

  • Wie und woher haben Sie die Motivation und die Kraft genommen, trotz der Hindernisse weiterzumachen?

Im Alter von 16 Jahren hatte ich das Glück, eine Patin zu haben, die mir ein Programm empfohlen hatte, das Jugendliche mit Migrationshintergrund begleitete. Auch mein Aufenthalt in England von 2018 bis 2019 hat mir die Möglichkeit gegeben, meine Kreativität besser zu erforschen, vor allem in Bezug auf Themen, die mir am Herzen liegen, wie die verschiedenen Darstellungen von schwarzen Menschen in der Fotografie. Ich bin eine Person, die es immer schafft, sich letztendlich selbst zu motivieren. Ich mache auch viele Recherchen im Internet, um mich von anderen Menschen inspirieren zu lassen, die vielleicht die gleichen Zweifel haben wie ich und die diese Hürde überwinden konnten. Auch Bücher haben mir sehr geholfen, insbesondere Fotobücher von verschiedenen Fotografen, die auf unterschiedliche und vielfältige Weise von Schwarzen erzählen und sie darstellen.

  • Wie hat sich Ihr beruflicher Werdegang seit Ihrem Studienabschluss  entwickelt?

Ich habe in 2021 mein Studium abgeschlossen und musste mich entscheiden, ob ich selbstständig oder als Angestellte arbeiten möchte. Als freiberufliche Fotografin ist es anfangs sehr schwierig, über die Runden zu kommen, wenn man nicht ein bisschen Geld auf die Seite gelegt hat. Ich entschied mich daher, als Angestellte zu beginnen und arbeitete in der Modebranche. Das war eine sehr schöne Erfahrung, die ich nach einem Jahr beendete, da ich ein Stipendium der Stiftung Kunstfonds erhalten habe, um mein eigenes Projekt zu starten. Daran arbeite ich gerade. In 2022 hatte ich mehrere Ausstellungen, eine davon war “Stream of the Diaspora” im Dortmunder U.

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  • Welche Botschaft würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Ich würde dieser jungen Frau raten, mehr Selbstvertrauen zu haben und vor allem Hilfe zu suchen, wenn sie sie benötigt. Sie sollte so oft wie möglich Fragen stellen und um Rat bitten. 

Am Tag 2 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Dr. Ferdaouss Adda vor:

„Gib niemals auf!“

Interview mit Dr. Ferdaous Adda

  • Können Sie sich bitte kurz vorstellen und ein paar Worte zu Ihrer Person sagen?

Ich bin 42 Jahre alt und Mutter einer sechsjährigen Tochter. Ich bin in zwei Ländern aufgewachsen. Ich bin in Deutschland geboren, in Offenbach am Main. Mit fünf Jahren bin ich nach Marokko ausgewandert, in das Land meiner Eltern. Dort habe ich etwa zehn Jahre gelebt. Als Teenager bin ich nach Deutschland zurückgekehrt. Was meine berufliche Ausbildung betrifft, bin ich Kulturanthropologin.

  • Wie war es für Sie, nach 10 Jahren in Marokko nach Deutschland zurückzukehren?

Ich war ungefähr 15 Jahre alt, als ich mit meiner Familie zurückkam. Wir haben damals nördlich von Frankfurt in Kronberg gewohnt. Es war nicht einfach für mich, muss ich sagen. Einerseits hatte ich mich gefreut, wieder nach Deutschland zu kommen, andererseits hatte ich alle meine Freunde, einen Großteil meiner Familie und meine Großeltern in Marokko zurückgelassen. Das war zugleich Schmerz und Freude für mich. Als ich dann in Deutschland war, musste ich mich erst einmal in der Schule zurechtfinden. Ich konnte kein Deutsch mehr und sprach Französisch und Darija, den marokkanischen arabischen Dialekt. Es war ein bisschen schwierig, mich in meinem neuen Lebensumfeld einzufinden, weil ich mich fremd gefühlt habe. Ich erinnere mich, dass mein Vater meiner Schwester und mir Fahrräder gekauft hat. Und in den Ferien, wenn die anderen Kinder in den Urlaub fuhren, sind wir immer mit den Fahrrädern 5 km zur nächsten Bücherei gefahren, um uns Bücher zu holen und so Deutsch zu lernen und zu verbessern. Bücher haben mir sehr geholfen, mich besser einzufinden. Ich habe gerne Geschichtsbücher gelesen, um mehr über Deutschland zu erfahren. Ich erinnere mich, dass ich für jedes zweite Wort im Wörterbuch nachschlagen musste (lacht).

  • Was hat Sie dazu bewogen, sich für Ihren Beruf zu entscheiden?

Ich wollte immer bildende Kunst studieren. Ich habe als Kind und als Jugendliche leidenschaftlich gerne gemalt und immer irgendwas mit meinen Händen gemacht. Die Vorstellung davon, wie man mit verschiedenen Farben spielen und verschiedene Ideen auf Papier bringen kann, hat mich immer fasziniert.

  • Wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie ihnen erzählt haben, dass Sie Kunst studieren wollen?

Als ich meinen Eltern gesagt habe, dass ich studieren möchte, konnten sie mir leider nicht sagen, was ich machen soll muss. Sie hatten zwar schon eine Ausbildung in Marokko absolviert, aber sie hatten keine Berührungspunkte mit dem Universitätsstudium in Deutschland. Auf der anderen Seite war es für sie sehr wichtig, dass ich eine Ausbildung mache und auf eigenen Füßen stehe. Deshalb begann ich eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten in einer Anwaltskanzlei, die ich aber nur ein Jahr lang gemacht habe. Obwohl ich die Ausbildung nicht abgeschlossen habe, habe ich dort viel gelernt, z.B. Arbeitsabläufe, wie man einen Computer benutzt, wie man Gesetze nachschlägt und wie die Arbeitswelt aussieht. Während dieser Zeit habe ich mich erkundigt, wie man sich an einer Universität einschreiben kann. Ich habe mich dann an der Universität Marburg für Kulturanthropologie eingeschrieben. Ich hatte Ethnologie als Hauptfach und Rechtswissenschaften und Romanistik als Nebenfächer.

  • Was genau ist die Arbeit einer Kulturanthropologin bzw. eines Kulturanthropologen?

Ich kann viele verschiedene Sachen als Kulturanthropologin machen. Die Ethnologie an sich beschäftigt sich mit Menschen und ihren Wahrnehmungen von der Welt und ihren verschiedenen Ausdrucksweisen, also ihren Kulturen. Dementsprechend ist das sehr umfassend, was so ein Fach anbietet. Es ist nicht sehr spezialisiert. Man kann natürlich damit wissenschaftlich arbeiten, aber man kann auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie zum Beispiel in kulturellen Bereichen, im Tourismus oder in der Politik. Es kommt immer darauf an, was man noch mitbringt. Ich persönlich wollte promovieren, weil ich über das Thema des Geschichteerzählens in Marokko gerne forschen wollte.

  • Haben Sie Personen als Vorbilder, die für Sie eine Quelle der Inspiration waren?

Es gibt einige. Tina Turner (lacht). Als ich sie zum ersten Mal im Fernsehen sah, war ich sofort fasziniert von der Kraft, die sie ausstrahlte. Es gibt auch marokkanische Akademikerinnen wie die Soziologin und Feministin Fatima Mernissi, die mich geprägt haben. Nicht zu vergessen die Frauen in meiner Familie, die starke Persönlichkeiten sind, wie meine Großmutter oder meine Mutter. Es gibt auch Frauen, mit denen ich hier in Bremen Kontakt habe, die auch eine Inspiration für mich sind. Da würde ich zum Beispiel Virginie Kamche nennen, die eine sehr starke Frau ist.

  • Hatten Sie als Frau und auf Grund Ihrer Herkunft Erfahrungen mit Ablehnung?

Ja, natürlich. Es kommt auch heute noch vor, dass ich nicht ernst genommen oder unterschätzt werde. Es gibt auch Versuche der Bevormundung von Seiten einiger Leute. Zum Glück habe ich auch Menschen angetroffen, die mich unterstützt haben. Und deshalb habe ich mich immer auf die positiven Erfahrungen fokussiert.

  • Wie und woher haben Sie die Motivation und die Kraft genommen, trotz der Schwierigkeiten weiterzumachen?

Für mich waren Schwierigkeiten immer Herausforderungen, aus denen ich gestärkt herausgekommen bin. Es ist auch wichtig für mich, meine Gefühle auszudrücken und auch zu weinen, wenn es nötig ist. Ich höre auch viel Musik. Das gibt mir viel Kraft und hilft mir, mich auf mich selbst zu fokussieren. Im Moment tut mir die Musik der britischen Rapperin Little Simz besonders gut. Sampa the great ist eine sambische Sängerin, Rapperin und Songwriterin, die ich auch sehr mag. Außerdem hilft es mir, gut und lange zu schlafen. Ich mache auch Sport, vor allem Karate.

  • Haben Sie ein bestimmtes Buch, eine Zeitschrift, einen Podcast, ein Tool oder eine Technik, die Sie lieben und mit uns teilen können?

Ich würde „Why We Mattervon Dr. Emilia Roig empfehlen. Ein anderes Buch, das ich gerade lese, ist „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ von Mohammed Mbougar Sarr, dass ich sehr interessant finde.

  • Welche Botschaft würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Ich würde ihr sagen, dass ich stolz auf sie bin. Sie soll niemals aufgeben. Wenn man Ziele erreichen will, muss man wissen, dass es verschiedene Wege gibt, diese Ziele zu erreichen. Man muss den Mut haben, unterschiedliche Routen auszuprobieren und sich vor allem nicht entmutigen lassen, wenn der Weg schwierig ist.

Am Tag 1 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Virginie Kamche vor:

„Mach Dich stark für Deine Ideen“

Für ihr über 20-jähriges Engagement für interkulturelle Öffnung und ihre Rolle als Sprachrohr der afrikanischen Community in Bremen wurde Virginie Kamche 2019 mit dem Bremer Diversity Preis ausgezeichnet.

Interview mit Virginie Kamche

  • Könnten Sie sich bitte kurz vorstellen und ein paar Worte zu Ihrer Person sagen?

Ich komme aus Kamerun und bin Fachpromotorin für Migration, Diaspora und Entwicklung in Bremen. Ich habe Bauwesen und Informatik in Frankreich und Bremen studiert. Ich leite heute die AG Migration und Vielfalt der SPD Bremen und den Sprachenrat. Ich habe den Verein Afrika Netzwerk Bremen e. V. im Jahr 2010 mitgegründet, nachdem ich bei meiner Ankunft in Deutschland mit Ungerechtigkeit, Rassismus und Diskriminierung konfrontiert wurde. Das Ziel des Vereins war es, eine Plattform zu bieten, die Afrikaner:innen in der Stadt zusammenbringt, um ihnen zu helfen, ihre Rechte zu verteidigen.

2014 beendete ich mein Referendariat und arbeitete einige Jahre als Lehrerin an einem Gymnasium in Bremerhaven. Außerdem bin ich Mutter von zwei Kindern. Seit 2017 bin ich Fachpromotorin für Migration, Diaspora und Entwicklung in Bremen. In dieser Position geht es darum, die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen in der Gemeinschaft der Migranten zu fördern.

  • Was waren die Beweggründe für Ihr Engagement?

Ziel war es, die Community zusammenzubringen, um gemeinsam über unsere Probleme zu diskutieren und Lösungen zu finden. Ich sehe mich in erster Linie als Mensch, als Teil der Weltgemeinschaft. Ich liebe die Menschen, unabhängig davon, wo sie herkommen. Deshalb beschränkt sich mein Engagement nicht nur auf die afrikanische Gemeinschaft. Ich arbeite zum Beispiel eng mit bulgarischen, indonesischen, indischen und anderen migrantischen Communities zusammen. So konnten wir gemeinsam mit dem Focke-Museum in 2019 das erste Bremer Festival der Kulturen initiieren.

  • Beschreiben Sie Ihren typischen Tag bei der Ausübung Ihres Berufs.

Mein Arbeitstag beginnt normalerweise sehr früh am Vormittag. Ich habe eine Funktion, in der ich viel zuhören muss. Es kommt nicht selten vor, dass ich schon um sechs Uhr morgens angerufen werde. Dann geht es weiter mit Besprechungen und der Bearbeitung von Anfragen per E-Mail. Und manchmal bin ich bis Mitternacht damit beschäftigt. Um Migranten zu erreichen, organisiere ich regelmäßig kulturelle Veranstaltungen wie den Tag der Muttersprache, das Festival der Kulturen oder den Diaspora-Preis. Das Ganze ist zwar eine Menge Selbstverzicht, aber ich habe Spaß an der Arbeit. Noch motivierter bin ich, wenn ich die konkreten Ergebnisse dieser jahrelangen Arbeit sehe, wie zum Beispiel die Möglichkeit, jungen Migranten Praktikumsplätze anzubieten.

  • Haben Sie sich schon einmal so entmutigt gefühlt, dass Sie aufgeben wollten?

Oh ja! Sehr oft (lacht). Der Kampf gegen Diskriminierung bringt mit sich, dass wir mit vielen Formen von Diskriminierung konfrontiert werden. Es ist nicht einfach, mit Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenzuarbeiten. Man muss Überzeugungsarbeit leisten, Rückschläge und Enttäuschungen einstecken. Zum Glück gibt es auch viele positive Aspekte. 

  • Wie und woher haben Sie die Motivation und die Kraft genommen, trotz der Schwierigkeiten weiterzumachen?

Ich freue mich über kleine Erfolge. Wenn ein Jugendlicher sagt, dass er dank uns einen Praktikumsplatz bekommen oder seine Mathe-Note verbessert hat, oder eine Frau wertschätzt, dass sie dank uns, Erfahrung im Einzelhandel gemacht hat, weil es ihr Traumberuf ist, erfreuet es mich. Das motiviert mich zusätzlich und bestärkt mich darin, dass sich mein Einsatz lohnt. Viel Geduld bringe ich auch mit. Und die braucht man für diesen Job. Ich bin auch froh, dass ich von der Stadt Bremen unterstützt werde. Auch mein Eintritt in die SPD und mein politisches Engagement haben sich durch diese Arbeit ergeben. Ich beabsichtige, bei der nächsten Wahl für das Abgeordnetenmandat zu kandidieren.

  • Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Ihr Engagement mit dem Wissen von heute noch einmal zu beginnen, was würden Sie anders machen?

Als der Verein gegründet wurde, versuchte ich, so viele Menschen wie möglich für meine Idee zu gewinnen. Das Wichtigste für mich war, so viele Leute wie möglich im Verein zu haben. Heute, mit der Erfahrung, die ich gesammelt habe, würde ich anders handeln. Ich würde mehr Wert auf die Qualität der Personen legen, mit denen ich meine Projekte auf die Beine stellen möchte. Ich würde mich in erster Linie davon überzeugen, dass die Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten möchte, von den gleichen Werten motiviert sind wie ich selbst und dass sie verstehen, was auf dem Spiel steht.

  • Was würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Sie braucht Selbstvertrauen, Wertschätzung, Sichtbarkeit, Solidarität und Vertrauen in ihre Arbeit. Wenn sie eine Idee hat und von ihr überzeugt ist, muss sie sich für sie einsetzen. Nichts fällt einem in den Schoß. Ich möchte jungen Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund zeigen, dass es eine Frau wie sie gibt, die ihnen ähnlich ist und es auch einiges auf den Weg gebracht hat.