Trau Dich! Auch Du gehörst an den großen Tisch – genauso wie alle anderen auch!


 Bild @ Sven Brauers

Interview mit Djenabou Diallo-Hartmann

  • Können Sie sich kurz vorstellen und einige besonders prägende Ereignisse oder Stationen in Ihrem bisherigen Leben nennen?

Mein Name ist Djenabou Diallo-Hartmann. Ich bin in Guinea geboren und aufgewachsen und vor fast 19 Jahren zum Studium nach Deutschland gekommen. Zunächst habe ich im Osten Deutschlands gelebt, bevor ich vor etwa 16 Jahren nach Hannover gezogen bin. Um hier mein Studium der Politikwissenschaft fortzusetzen. Von Beruf bin ich Politikerin und als stellvertretende Fraktionsvorsitzende für die Partei Bündnis 90/Grüne im Niedersächsischen Landtag tätig. Ich bin  Mutter von zwei Kindern. Was mich nachhaltig geprägt hat und letztlich der Grund für mein politisches Engagement war, sind meine eigenen Erfahrungen mit Rassismus und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft, sowohl im Alltag als auch in unseren Institutionen. In Halle/Saale trauten wir uns damals als schwarze Student*innen nicht alleine in die Bibliothek zu gehen; wir bewegten uns immer nur in Gruppen, so groß und real war die Gefahr oder die Angst, körperlich angegriffen zu werden. Meine damaligen Erfahrungen in der Ausländerbehörde machten deutlich, wie stark Rassismus trotz aller Bemühungen in unseren Institutionen verankert war und ist.

  • Warum sind Sie in die Politik gegangen?

Die Entscheidung, mich politisch zu engagieren, steht in direktem Zusammenhang mit den bereits erwähnten Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen. Sowohl als junge Studentin als auch als junge Mutter habe ich Dinge erlebt, die mich empört haben. Ich habe erlebt, wie mein Sohn zusammen mit anderen Kindern mit Migrationshintergrund in der zuständigen Schule systematisch ausgegrenzt und stigmatisiert wurde: Sie wurden in eine sogenannte „Schneckenklasse“ gesteckt, die an dieser Schule keinen guten Ruf hatte. Die Kinder wurden zum Beispiel nicht auf Klassenfahrten mitgenommen, weil sie als „unkontrollierbar“ galten. Das erinnerte mich sehr an meine eigenen Erfahrungen als junge Frau und ich wollte das nicht einfach so hinnehmen. Ich beschloss, etwas dagegen zu unternehmen, und setzte alles in Bewegung, was in meiner Macht stand, um das zu ändern. Das war ein langer und schmerzvoller Prozess, der aber erfolgreich war: Am Ende wurde diese Klasse aufgelöst und dieser Erfolg zeigte mir, dass man als Bürger*in etwas bewegen kann. So beschloss ich, mich politisch zu engagieren. Nach reiflicher Überlegung und Abwägung aller Faktoren trat ich in die für mich passende Partei ein.

  • Wie blicken Sie auf die Ausbildungs- bzw. Studienzeit zurück?

Auch wenn die Erinnerungen an meine Studienzeit nicht mehr ganz so frisch sind, würde ich sie im Großen und Ganzen positiv bewerten. Als ausländische Studentin hatte ich natürlich meine Schwierigkeiten mit der Sprache, so dass ich gefühlt doppelt so viel Lernzeit aufwenden musste wie meine muttersprachlichen Kommilitoninnen. Außerdem bin ich während des Studiums Mutter geworden. Das waren zusätzliche Herausforderungen, die ich aber dank meiner sehr hohen Motivation, meiner Offenheit und meines Pragmatismus gut meistern konnte. Ich habe nicht gezögert, die mir angebotene Unterstützung anzunehmen. Ich hatte nette, weltoffene und ich würde sogar sagen für damalige Verhältnisse rassismuskritische Kommiliton*innen, die mir immer bereitwillig Fragen zu Studieninhalten sowie zur Hochschulstruktur und -kultur in Deutschland beantwortet haben. Meine Professor*innen empfand ich in der Regel als fair und unterstützend.

  • War es für Sie schwierig, eine Stelle zu finden? Wie verlief Ihr Berufseinstieg?

Meinen ersten Job hatte ich als persönliche Mitarbeiterin von zwei Abgeordneten der Grünen im niedersächsischen Landtag. Ich war zu dieser Zeit bereits sehr aktiv als Parteimitglied auf Landesebene und habe mich dadurch für diese Stelle qualifiziert. Die Arbeit hat mir sehr viel Spaß gemacht und mir einen Einblick in das Tagesgeschäft der Landespolitik ermöglicht. Dennoch hatte ich nach zwei Jahren das Bedürfnis, die „richtige“ Arbeitswelt kennen zu lernen. Es war mir wichtig, Erfahrungen außerhalb des Politikbetriebes zu sammeln. Mit meinem Profil empfahlen sich Stellen im Dritten Sektor, also bei NGOs und zivilgesellschaftlichen Organisationen. So habe ich eine Stelle als Referentin der Geschäftsführung bei einem großen Dachverband von Migrantenselbstorganisationen in Niedersachsen bekommen und dort einige Jahre gearbeitet. Das war eine sehr wertvolle Erfahrung, die mir für mein späteres politisches Engagement als Abgeordnete in vielerlei Hinsicht sehr geholfen hat. Aber so schön diese Erfahrungen auch waren, sie waren nicht ohne Herausforderungen. Als schwarze Frau beweg(t)e ich mich in Sphären, die Menschen wie mir bis dahin verschlossen waren. Meine Themenschwerpunkte und meine temperamentvolle Art stießen trotz der erklärten Offenheit auf Befremden. Es war und ist ein ständiger Kampf, den ich bereit bin, immer wieder zu führen. Denn wie gesagt, ich bin in die Politik gegangen, um etwas zu bewegen und zu gestalten und die Erfolge, wenn auch mühsam, geben mir Recht. Wenn meine Tochter sagt, ich sei ihr Vorbild und ihre Lieblingspolitikerin, dann ist das für mich Ansporn.

  • Was würden Sie jungen Frauen empfehlen, die vielleicht überlegen, einen ähnlichen Weg einzuschlagen?

Dass bestimmte Bevölkerungsgruppen in der Politik unterrepräsentiert sind, ist bekannt und in meinen Augen ein Problem. Als BPoC ist es mir ein Anliegen, Menschen wie mich zu motivieren, sich politisch zu engagieren, damit ihre Stimme in den Diskussionen authentisch und würdig vertreten ist. Ich verstehe, dass es in dem einen oder anderen Fall gewisse Hemmungen gibt, denn wenn wir ehrlich sind, hat der Beruf des Politikers nicht unbedingt den besten Ruf. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass die Gestaltung einer gerechten Gesellschaft ohne die Stimme der BPoC nicht gelingen kann.   Wir müssen uns also engagieren und das mit dem Ziel, am großen Tisch zu sitzen, an dem die wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Mein Rat wäre also: Traut euch! Ihr gehört an den großen Tisch – genauso wie alle anderen auch!

Am letzten Tag unserer Kampagne in Niedersachsen, stellen wir Djenabou Diallo-Hartmann vor: