Am Tag 9 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Dr. Florence Samkange-Zeeb vor:

“Glaube an Dich und vergleiche Dich mit Niemandem”

Interview mit Dr. Florence Samkange-Zeeb

Können Sie sich bitte kurz vorstellen und ein paar Worte zu Ihrer Person sagen?

Ich bin 58, Mutter von 3 jungen Männern. Ich bin in Zimbabwe geboren, aufgewachsen und verheiratet. Ich lebe in Deutschland seit August 1995. Ich habe eine Ausbildung als Röntgenassistentin. In diesem Beruf habe ich in Simbabwe, Südafrika und Namibia gearbeitet. In Namibia habe ich meinen Mann (Deutscher) kennengelernt und bin dann mit ihm und meinen 2 Söhnen nach Deutschland gekommen, zuerst nach Leimen in der Nähe von Heidelberg. Ich hatte keine Deutschkenntnisse. Zuerst besuchte ich die Sprachschule (VHS, Intensivkurs). Für mich war es selbstverständlich, dass ich Deutsch lernen musste. In Südafrika und Namibia habe ich auch die Landessprachen gelernt (zumindest habe ich es versucht). Mein dritter Sohn kam in Leimen zur Welt. Ich habe einen Master und einen Doktortitel im Gesundheitswesen. Mein Forschungsgebiet ist die Sozialepidemiologie mit dem Schwerpunkt Migration und Gesundheit.

Was hat Sie dazu bewogen, Ihren Beruf zu wählen?

Ich wollte schon immer in der Gesundheitsforschung arbeiten. Zuerst habe ich in Heidelberg und dann in Bielefeld in einem Krankenhaus gearbeitet. In Bielefeld habe ich einen Master in Public Health gemacht. Danach bin ich in die Wissenschaft gegangen. Ohne es geplant zu haben, habe ich mit 49 Jahren promoviert. Die Gelegenheit hat sich irgendwie angeboten, und ich habe die Chance ergriffen. Mit dem Doktortitel sind dann einige berufliche Möglichkeiten entstanden.

Beschreiben Sie Ihren typischen Arbeitstag

Je nachdem, woran ich gerade arbeite, ist das unterschiedlich. Zum Beispiel bin ich gerade mit einem Projekt beschäftigt, in dem es darum geht, die Gesundheitskompetenz von Personen, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, zu verbessern. Da kann es sein, dass der Tag damit beginnt, Interviews zu führen oder Projektmaterialien wie Flyer oder Fragebögen zu erstellen. Manchmal geht es auch darum, qualitative Interviews zu lesen und zu analysieren oder wissenschaftliche Beiträge (Publikationen) zu erfassen. An manchen Tagen ist der Tag auch voll mit Meetings – im Moment mehr online als persönlich. Ab und zu biete ich Workshops zum wissenschaftlichen Schreiben an, die ich vor- und nachbereiten muss.

Hatten Sie in der Schule oder bei der Arbeit jemals Schwierigkeiten aufgrund Ihrer Hautfarbe?

Eigentlich nicht. Ich glaube, ich habe immer Glück gehabt. Schon als Kind war ich sehr selbstbewusst. Ich bin die Jüngste von sieben Geschwistern und hatte das Glück, Dinge zu tun, die meine Geschwister nicht tun konnten. Ich möchte darauf hinweisen, dass ich vor der Unabhängigkeit Simbabwes geboren wurde. Ich war das erste und einzige schwarze Mädchen in meiner Schule. Mein Vater gab mir immer Ratschläge und sagte mir, ich sei genauso gut wie meine Mitschüler*innen und solle mich nicht mit anderen vergleichen. Er sagte mir auch, dass es wichtig ist, dass ich weiß, dass ich mich nicht ändern muss, um anderen zu gefallen. 

Wie können Sie sich selbst und die Frauen mit Migrationshintergrund in Ihrem Umfeld stärken?

Das Motto meines Vaters war – man ist nie zu alt, um etwas Neues zu lernen. In unserer Familie spielt Bildung eine große Rolle. Wir waren sechs Mädchen und ein Junge. Mein Vater sagte mir, dass er uns, seinen Töchtern, einen Mann fürs Leben gegeben hat, nämlich unsere Bildung. Er hat uns immer ermutigt, den nächsten Schritt zu machen. Von ihm habe ich gelernt, dass es verschiedene Wege gibt, um voranzukommen. Die Tatsache, dass man es nach dem Abitur nicht direkt an die Universität geschafft hat, bedeutet nicht, dass man keine universitäre Ausbildung machen kann. Man darf sich selbst keine Hindernisse in den Weg legen – Gedanken wie zum Beispiel: „Die Dauer des Studiums ist zu lang“. Die Zeit vergeht schneller als man denkt.

Haben Sie ein bestimmtes Buch, eine Zeitschrift, einen Podcast, ein Tool oder eine Technik, die Sie lieben und mit uns teilen können?

Podcasts, Hörbücher oder ähnliches sind nichts für mich. Ich kann mich nicht lange genug konzentrieren. Ich kann zwar stundenlang lesen, aber ich schaffe es nicht, 15 Minuten lang etwas zu hören. Ich lese alles Mögliche – von Krimis bis zu Biografien. Aber ich habe eine Lieblings Buchreihe. Die habe ich im Laufe der Jahre bestimmt mehr als zehn Mal gelesen. Es handelt sich um die Bücher von James Herriot, einem englischen Tierarzt. Es gibt/gab eine Fernsehserie darüber – auf Deutsch: „Der Doktor und das liebe Vieh“. Als Kinder haben wir die Sendung mit meinem Vater angeschaut, natürlich auf Englisch.

Welche Botschaft würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Mach weiter so, wie Du es damals gemacht hast. Glaube an Dich selbst und vergleiche Dich nicht mit anderen. Jeder hat sein eigenes Tempo – wichtig ist, dass man nicht stehen bleibt.

Am Tag 8 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Laura Mabeia vor:

“Gib Nicht Auf, Selbst Wenn Dein Weg Anders Ist.”

 

Interview mit Laura Mabeia

  • Können Sie sich bitte in wenigen Worten vorstellen?

Ich bin 40 Jahre alt und Mutter von vier Kindern. Ich bin verheiratet und arbeite als Klinikpflegeleitung im Klinikum Bremen-Nord. Ich leite vier große Fachbereiche mit ca. 160 Mitarbeitern. Geboren bin ich in Bremerhaven, aber meine Wurzeln liegen in Nigeria.

  • Was hat Sie dazu bewogen, Ihren Beruf zu wählen?

Ich bin wirklich altruistisch. Ich helfe gerne Menschen, und habe Spaß daran Menschen zu helfen, zu unterstützen und diesen Genesungsprozess zu beobachten und zu begleiten. Deshalb bin ich Krankenschwester geworden. Nach vielen Jahren in diesem Beruf habe ich gemerkt, dass das nicht alles ist, was ich will. Ich merkte, dass ich unzufrieden war. Ich wollte etwas verändern, aber das kann man als Krankenschwester nur begrenzt. Es gibt eine Grenze, bis zu der man gehen kann. Ansonsten muss man sich weiterentwickeln. Ich wollte ins Management. Dann kam natürlich die Frage auf, ob ich das mit vier Kindern wirklich schaffen kann. Damals bot mir mein Arbeitgeber eine Kooperation und unterstützte mein Studium mit einem. So konnte ich dann das Studium des Gesundheits- und Pflegemanagements absolvieren. Während des Studiums wurde ich zur Bereichspflegeleitung und Gott sei Dank eineinhalb Jahre später zur Klinikpflegeleitung befördert. Ich bin jetzt seit einem Jahr in dieser Position.

  • Wie war es für Sie, gleichzeitig zu arbeiten, zu studieren und Mutter zu sein?

Am Anfang war es tatsächlich nicht immer leicht. Viele Leute in unserem Umfeld haben gefragt, ob ich das wirklich schaffe. Sie wollten mir ein bisschen ein schlechtes Gewissen machen mit Fragen wie: “Du bist doch Mutter. Wie schaffst du das mit den Kindern? Wirst du dich nicht überfordert fühlen?” 

Aber wenn man weiß, dass die Familie hinter einem steht und einen unterstützt, so wie mein Mann, dann geht es. So habe ich weitergemacht. Ich hatte auch die Unterstützung vom Pastor meiner Gemeinde. 

Ich habe das Studium gerne als Herausforderung angenommen, weil ich mir gesagt habe: Wenn andere das schaffen, warum nicht ich? Ich musste mir einen guten Zeitplan definieren. Ohne Struktur geht es nicht. Wenn man sich die Zeit gut einteilt, dann klappt es auch. Ich habe die Studienzeit sehr genossen. Dieses Studium auf dem zweiten Bildungsweg war genau das Richtige für mich. Und ich kann mir vorstellen, vielleicht noch irgendwann in Richtung Master zu gehen.

  • Was war das für ein Gefühl für Sie, als Frau, als Sie für diese verantwortungsvolle Aufgabe vorgeschlagen wurden? 

Ich fühlte mich sehr geehrt, musste aber auch einen Moment darüber nachdenken, ob ich bereit bin, diese Verantwortung zu tragen. 

Die Position an sich als Frau zu besetzen ist nicht besonders außergewöhnlich. Im Gesundheitswesen, gerade in den Krankenhäusern, sind schon viele Frauen in Führungspositionen. Das ist immer noch ein von Frauen dominierter Beruf. Es war schon früher so, dass die Oberschwester/Stationsleitung eine Frau war. 

In den Kliniken, in denen ich gearbeitet habe, waren Frauen Stationspflegeleitungen, Klinikpflegeleitungen und auch Geschäftsführende Direktorin. Das heißt, die Förderung von Frauen hat es auch dort schon gegeben. Natürlich ist es trotzdem eine Herausforderung, in eine führende Position zu kommen. Wenn wir in Richtung Medizin schauen, sind die Chefärzte tatsächlich überwiegend Männer. Frauen sind in Führungspositionen nach wie vor relativ unterrepräsentiert. 

  • Können Sie Ihren typischen Arbeitstag beschreiben?

Wir beginnen den Tag gleich um 8 Uhr mit einer Besprechung. Es wird kurz der aktuelle Stand in der Klinik besprochen und abgeklärt, ob es irgendwelche dringenden Dinge zu erledigen gibt. Dann geht es weiter mit Telefonaten und E-Mails. Vieles ist bereits im Terminkalender verplant, wie zum Beispiel die wöchentlichen Jours fixes mit den Chefärzten, Direktoren, Bereichs- und Stationsleitungen. Dann kommen noch die Mitarbeitergespräche und Teamgespräche. Wir haben eine “Open-Door-Kultur”.  Das heißt, die Türen in unseren Büros stehen immer offen, so dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu uns kommen können, wenn sie ein Anliegen haben. Ich habe viele Sitzungen in Gremien, hier sind wir beratend und auch aktiv an Projekten beteiligt und entwickeln eigene Konzepte. Wir wollen auch die Wissenschaft einbeziehen und schauen, wie wir Konzepte anpassen oder umgestalten können. Und dann gibt es auch noch neben sämtlichen Personalthemen die wirtschaftliche Planung, die es zu berücksichtigen gilt. Also es gibt schon viele Bereiche, die von einer Klinikpflegeleitung abgedeckt werden.

  • Sind Sie als Frau nichtdeutscher Herkunft bei der Ausübung Ihrer Tätigkeit auf Schwierigkeiten gestoßen?

Ich muss wirklich sagen, dass ich das in der Position, in der ich jetzt bin, noch nicht bewusst erlebt habe. Im Gesundheitswesen sind wir seit Jahren international unterwegs. Wir haben viele internationale Ärtz*innen, die zu uns kommen. Die Kliniken sind diesbezüglich sehr aufgeschlossen. 

Wenn ich auf die Jahre zurückblicke, in denen ich als Krankenschwester gearbeitet habe, gibt es viele Begegnungen, bei denen ich wirklich gedacht habe: Das kann doch nicht wahr sein, dass die Leute immer noch so ignorant sind, was meine Hautfarbe angeht. Manchmal wurde ich von den Patienten gar nicht als Krankenschwester wahrgenommen. Manchmal wollten Patienten nicht von mir behandelt werden. Zum Glück sind meine Kollegen oder der Kreis, in dem ich mich bewege, Menschen, bei denen meine Hautfarbe keine Rolle spielt.

  • Waren Sie schon einmal so entmutigt, dass Sie aufgeben wollten?

Ja, vor allem am Anfang, als ich die Funktion der Bereichspflegeleitung während des Studiums übernommen habe. Da habe ich die Arbeitsbelastung als sehr einseitig empfunden. Da muss man Coping-Strategien entwickeln: Wie kann ich das irgendwie kompensieren, damit ich das durchhalte, und nicht noch aufgebe. Natürlich gibt es diese Momente, in denen man das Gefühl hat, es ist zu viel, es war vielleicht doch nicht die richtige Entscheidung, zu diesem Zeitpunkt in eine Position mit Verantwortung zu wechseln. Aber ich glaube, man muss ein bisschen kämpfen und wissen, dass es etwas Besonderes ist. Man muss sich daran erinnern, dass es ein Privileg ist, diese Situation oder diese Position zu haben. Das hilft sehr.

  • Wie und woher haben Sie die Motivation und die Kraft genommen, trotz der Schwierigkeiten weiterzumachen?

Ich bin Christ. Die Quelle meiner Kraft liegt in der Tat bei Gott. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Von dort bekomme ich viel und kann viel zurückgeben. Eine meiner Copingstrategien ist, wenn ich einen schlechten Tag habe, meine Schwester in den USA anzurufen. Sie arbeitet auch im Management und wir tauschen uns viel aus. Sie hört mir zu und ermutigt mich. Natürlich unterstützen mich auch meine Familie und mein Mann. Er sagt: „Mensch, du bist so weit gekommen, das wird schon. „Du musst dich erst an die neue Umgebung und die neue Situation gewöhnen”.

  • Hatten Sie Vorbilder, als Sie Ihre berufliche Laufbahn begannen?

Als ich mein Studium begonnen habe, hat mich Ursula von der Leyen sehr fasziniert. Ich bin eher Pazifist (lacht). Aber ich finde es toll, wie eine Frau aus der Medizin in die Politik gegangen ist, nebenbei 7 Kinder bekommen hat, promoviert und dann unsere Verteidigungsministerin wurde. Heute ist sie sogar Präsidentin der Europäischen Kommission. Das hat mich total inspiriert und ich habe mir gedacht, wow, wenn sie das kann, warum sollte ich das nicht versuchen? Wahrscheinlich hat sie 10 Nannies (lacht), aber ich fand es toll. Dies ist ein erstrebenswertes Ziel.

  • Welche Botschaft würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Gib nicht auf, selbst wenn Dein Weg anders ist. Du kannst Dein Ziel auch auf andere Weise erreichen. Höre auf die Stimme in Dir, die Dich ermutigt und Dir sagt, dass Du es schaffen kannst. Zu einem späteren Zeitpunkt kannst Du in Deinem Beruf neue Wege eingehen. Es gibt keine Misserfolge. Solltest Du Dein Ziel nicht sofort erreichen, hast Du dennoch Erfahrungen gesammelt und kannst andere damit ermutigen. Herausforderungen sind Chancen, die ergriffen werden müssen. Wenn man sich nie traut, aus seiner Komfortzone herauszukommen, wird man immer derselbe Mensch bleiben und irgendwann verbittert sein und sagen: „Mensch, hätte ich das doch mal gemacht.“ Verspürt man diesen Drang zur Veränderung, dann sollte man ihm nachgeben. 

Am Tag 7 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Maimuna Sallah vor:

“Lege Deinen Fokus auf das, was Dir am wichtigsten ist”

Interview mit Maimuna Sallah

  • Können Sie sich bitte in wenigen Worten vorstellen?

Ich bin 31 Jahre alt. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Meine Wurzeln väterlicherseits liegen in Gambia. Zurzeit studiere ich an der Universität Bremen den Masterstudiengang Transnationale Literaturwissenschaft. Dabei geht es um Literatur, Theater und Film. An der Uni arbeite ich auch als studentische Mitarbeiterin in der Antidiskriminierungsstelle. Nebenbei engagiere ich mich vor allem als Aktivistin gegen Rassismus und mache so ein bisschen politische Bildungsarbeit als Referentin. Ab und zu bin ich auch bei Literaturfestivals als Moderatorin tätig. Neuerdings bin ich auch Co-Leitung der ersten Schwarzen Kinderbibliothek Deutschlands.

  •  Welche Inhalte werden in diesem Studiengang vermittelt?

Der Studiengang ist sehr transdisziplinär. Wir beschäftigen uns mit Literaturen aus der ganzen Welt. Dabei wird vor allem eine postkoloniale Perspektive auf Literatur eingenommen.  Im Filmseminar haben wir zum Beispiel auch einen kleinen Film gedreht. Im Theaterseminar haben wir ein kleines Stück inszeniert. Es wird einfach versucht, kulturelle Gegebenheiten in der Gesellschaft aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.

  • Was hat Sie dazu bewogen, sich für Ihren Studiengang zu entscheiden?

Ich habe einfach schon immer sehr gerne gelesen, und das schon, seit ich ein kleines Kind war. Das Interesse an afrikanischer Literatur und an afro-deutscher Literatur hat mich dazu gebracht, das zu studieren. Im Bachelor habe ich Deutsch und Philosophie auf Lehramt studiert, weil ich schon sehr lange den Wunsch hatte, Lehrerin zu werden. Aber dann habe ich gemerkt, dass ich nicht so gut in den Schuldienst passe und dann vielleicht Dinge unterrichten muss, hinter denen ich selbst nicht stehen kann. Ich wollte lieber etwas Kreativeres machen, auch mit der Befürchtung, dass es dann vielleicht schwieriger ist, einen Job zu finden, weil es auch ein Studium ist, das sehr viel mit Praktika und sehr viel mit Beziehungen zu tun hat. 

  • Was sind Ihre Aufgaben in der Antidiskriminierungsstelle der Universität?

Ich bereite Fortbildungen zum Thema Konfliktberatung oder Diskriminierung am Arbeitsplatz vor. Außerdem habe ich mit meinem Kollegen ein Projekt gestartet, in dem wir versuchen, die studentischen Gruppen an der Universität, die diskriminierungskritisch arbeiten, zusammenzubringen, um so eine Art Antidiskriminierungsnetzwerk an der Universität aufzubauen, das von Studierenden geleitet wird. Die Idee hinter diesem studentischen Netzwerk ist es, an der Universität mehr Sichtbarkeit für Menschen zu schaffen, die von Diskriminierung betroffen sein könnten und dass sie sich im Falle eines Falles informieren können, wo sie Hilfe bekommen. 

  • Haben Sie Vorbilder, die für Sie eine Inspiration oder Motivation waren?

Meine Schwester ist ein großes Vorbild. Sie ist sechs Jahre älter als ich und hat eine zwölfjährige Tochter. Ich bin sehr beeindruckt, wie sie ihr Leben einfach meistert, wie sie arbeitet, wie sie für ihr Kind da ist, wie sie für sich selbst da ist und wie sie mir auch eine gute Schwester ist.

Während meines Studiums fiel mir auf, dass gerade Schwarze Frauen in der Literatur, die wir lasen, sehr unterrepräsentiert sind. Ich bin dann auf eigene Faust auf die Suche gegangen. Ich habe dann viel von Bell Hooks oder Toni Morrison gelesen. Ich war auch auf der Suche nach Autorinnen und Autoren, die in meiner Gegenwart für mich inspirierend sind. Heute lese ich gerne Romane von Sharon Dodua Otoo. Ich möchte auch meine Masterarbeit über ihr Buch « Adas Raum » schreiben. Was die Politik betrifft, so hatte ich Vorbilder wie zum Beispiel Angela Davis. 

Aber meine persönliche Einstellung, mich nicht immer mit Rassismus beschäftigen zu wollen und mich auch nicht darüber zu definieren, hat mich dazu gebracht, ganz normale Literatur zu lesen. Vor zwei Jahren habe ich einen Roman von Olivia Wenzel gelesen. Das Buch handelt auch von einer afrodeutschen Frau in ungefähr meinem Alter. Ich fand die Geschichte sehr schön, weil die Autorin es geschafft hat, die Geschichte einer Frau zu erzählen, die zwar Schwarz ist und Rassismus Erfahrungen macht, aber eben nicht nur. Auch wenn Schwarz sein ein Thema war, ging es nicht immer nur darum, um dieses Leid, das damit einhergehen kann.

  • Sind Sie als Jugendliche in der Schule und als junge Erwachsene an der Universität zu Ihrer vollen Entfaltung gekommen?

Nein.  Ich habe auch Diskriminierung erlebt. Ich musste mich dagegen wehren. Das war sehr schwierig für mich als junger Mensch. Ich bin sehr weiß sozialisiert aufgewachsen, dadurch dass ich eine weiße Mutter habe. Aber trotzdem habe ich von klein auf, wie wahrscheinlich jedes afrodeutsche Kind, gemerkt, dass ich in der Gesellschaft anders behandelt oder anders gelesen werde. Ich glaube, viele Jahre meiner Jugend waren deswegen von großer Unsicherheit geprägt. Ich konnte nicht verstehen, warum Menschen anders auf mich reagieren, wenn ich mich als zugehörig lese, weil ich hier geboren bin. Erst als ich älter wurde und mehr Kontakt zu anderen Schwarzen Menschen hatte, merkte ich, dass es okay ist, wie ich bin. 

Bezüglich meines Studiums habe ich in Oldenburg studiert. Oldenburg ist eine relativ kleine Stadt und ich fand es sehr schwierig, aus einer großen Stadt in so eine kleine Stadt zu ziehen. Generell war dieser Schritt, von zu Hause wegzuziehen, weg von der Familie, schwierig. Ich hatte auf jeden Fall Anfangsschwierigkeiten. Ich war mit der Situation überfordert, auch weil ich die erste in meiner Familie war, die angefangen hat zu studieren. Ich konnte das nicht so richtig teilen. Ich habe auch immer nebenbei gearbeitet, weil wir nicht die finanziellen Mittel hatten, um mein Studium zu finanzieren. Das war schon eine doppelte Belastung für mich, aber ich bin immer sehr gerne zur Uni gegangen. Es war auch trotz allem eine sehr schöne Zeit.

  • Wie und woher nehmen Sie die Motivation und die Kraft, trotz der Schwierigkeiten weiterzumachen?

Ich finde es wichtig, gerade wenn man nicht mehr in seiner Heimatstadt wohnt und die Familie nicht mehr in der Nähe ist, dass man gute Leute um sich hat. Ich habe in den letzten Jahren durch die politische Arbeit Wert darauf gelegt, dass ich auch eine Community, also andere Menschen, die mir wichtig sind, um mich herum habe. 

Ich finde es auch sehr wichtig, manchmal nein zu sagen. Aber auch das lerne ich noch. Ich finde es auch manchmal schwierig, mir selbst meine eigenen Grenzen bewusst zu machen und auch den anderen zu signalisieren, dass jetzt eine Grenze verletzt wird. Auch die Frage, ob ich die Kapazität für Projekte habe, muss ich mir immer wieder stellen. Gerade in unserem politischen Aktivist*innenkreis merke ich oft, dass man das Bedürfnis hat, viel nach außen zu kommunizieren, weil man vielleicht viele Jahre nicht gehört wurde. Aber es ist auch wichtig, nicht zu allem ja zu sagen. Nicht auf jedes Podium zu gehen, nicht bei jedem Projekt mitzumachen, denn man kann die Welt allein nicht retten. Man darf sich nicht ausbrennen lassen. Man muss aufpassen, dass man nicht kaputt geht.

  • Welche Botschaft würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Suche Kontakt zu Menschen, die in einer ähnlichen Lebenssituation sind oder ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Genau solche Projekte – wie das Projekt #Dasschaffstduauch – sind für Dich da! Du bist nicht allein. Du bist nicht schlecht oder komisch, aber die Gesellschaft will ein Bild von Dir zeichnen, das es in Wirklichkeit gar nicht gibt.

Ich möchte, dass sie auch versteht, dass es sehr wichtig ist, dass man sich nach innen wendet und nicht nur nach außen nach Anerkennung in einer weißen Gesellschaft strebt – Wie man das verfolgt, was einem selbst am Herzen liegt und wie man vielleicht Dinge in der Welt verändern kann, die auch für die eigene Gemeinschaft von Vorteil sind. Ich habe zum Beispiel im Januar 2023 in einem Team hier in Bremen die erste Schwarze Kinderbibliothek eröffnet. 

Am Tag 6 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Nomazulu Thata vor:

“Vertraue und folge Deiner Intuition”

Interview mit Nomazulu Thata

  • Können Sie sich bitte kurz vorstellen und ein paar Worte zu Ihrer Person sagen?

Mit 22 Jahren bin ich mit einem Stipendium in die DDR gekommen, wo ich als Naturwissenschaftlerin ausgebildet wurde. Ich habe einen Masterabschluss in Metallurgie. An der Canterbury Christ Church University in Großbritannien habe ich zusätzlich ein Postgraduate Certificate in Education erworben. Ich lebe und arbeite in Bremen seit 2010 und unterrichte dort Chemie. Zudem engagiere ich mich seit vielen Jahren in den sozialen Medien, insbesondere bei der täglichen Online-Zeitung „Bulawayo 24 Social News Media Zimbabwe„. Vor allem aber bin ich die stolze Mutter meines Sohnes. Er ist promovierter Biologe und möchte sich auf Virologie spezialisieren.

  • Warum haben Sie sich für ein Studium der Metallurgie entschieden? 

Ich bin eine Überlebende der Bombardierung der Lager der Freedom Fighters in Sambia. Damals besuchte der ostdeutsche Staatschef die zerstörten Lager und gab mir und anderen die Möglichkeit, in Ostdeutschland zu studieren. Ziel war es, junge Afrikaner_innen in der DDR auszubilden, damit sie später zurückkehren und sich um den Wiederaufbau ihres Landes kümmern können. Da alle sagten, die Stärke Afrikas seien seine Bodenschätze, war für mich das Studium der Metallurgie naheliegend. Damals, Ende der 70er Jahre, war die Zeit sehr von revolutionärem Geist geprägt. Die Wahl des Studiengangs hatte mehr mit dem wirtschaftlichen Aufbau des Landes Simbabwe zu tun.

  • Wie sind Sie Chemielehrerin geworden? 

Ich bin Lehrerin geworden, weil es für mich damals sehr schwer war, in Deutschland eine Arbeit als Metallingenieurin zu finden. Außerdem war ich fest davon überzeugt, dass ich nach Afrika zurückkehren musste. 1994 ging ich als Assistenzprofessorin für Metallurgie nach Simbabwe an die Universität Harare. Ich hatte bereits ein Kind – eine Herausforderung in einem Land, das nicht mehr mein Land war. Dann kehrte ich nach Deutschland zurück, um an der Technischen Universität Berlin zu promovieren. Danach bin ich 1998 nach Südafrika gegangen. Dieser ständige Wechsel von einem Land ins andere war für meinen damals siebenjährigen Sohn eine große Herausforderung. Er hatte Schwierigkeiten, sich im südafrikanischen System zurechtzufinden und sprach kein Englisch. Ich entschied mich, nach Deutschland zurückzukehren, um meinem Sohn ein Stück Normalität zu geben und konzentrierte mich darauf, ihm eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Eine Zeit lang war ich arbeitslos. Damals lag die Arbeitslosenquote für Akademiker in Deutschland bei 11 %. Ich beschloss, nach England zu gehen. Irgendwie schaffte ich es, an der Universität Reading angenommen zu werden, wo ich Chemie unterrichtete.

  • Woher und wie haben Sie die Motivation und die Kraft zum Weitermachen trotz aller Schwierigkeiten?

Ich glaube, ein Kind zu haben, hat so vieles geheilt. Ich glaube nicht, dass ich so viel getan hätte, wenn mein Kind nicht da gewesen wäre oder wenn ich mich anders entschieden hätte. Ich habe einfach gesagt: “Dieses Kind ist da, und jetzt ist es meine Aufgabe, mich um dieses Kind zu kümmern“. Ich erinnere mich, dass ich mir gesagt habe, dass es meine Verantwortung ist, mich um dieses Kind zu kümmern. Mein Sohn hat mir so viel gegeben. Mein Kind gibt mir Kraft.

  • Welche Erfahrungen haben Sie als Schwarze Frau in der Arbeitswelt hier in Deutschland gemacht?

Ich habe sehr gute Erfahrungen gemacht, sowohl im Studium als auch in der Arbeitswelt. Ich muss auch sagen, dass ich im Allgemeinen sehr positiv eingestellt bin. Anzeichen von Rassismus sind mir erst aufgefallen, als mein Sohn in die Schule kam. Diese Art von Rassismus war mir bis dahin unbekannt. Das war einer der Auslöser für meine Entscheidung, nach England zu gehen.

  • Welche Aktivitäten haben Sie jetzt im Ruhestand?

Ich schreibe Bücher und Artikel für Zeitschriften. Ich bin auch politisch engagiert. Ich bereite mich auf die Europawahlen 2024 vor, die ich hoffentlich gewinnen werde. Mein Ziel ist es, als EU-Abgeordnete nach Brüssel zu gehen und dort zu versuchen, die Umsetzung des EU-Marshallplans mit Afrika zu ermöglichen – „AID FOR AFRICA“ muss abgeschafft werden und ein RESET muss her. Der Begriff RESET ist heute das Schlagwort. Es muss eine neue Definition zwischen der EU und Afrika als Nachbarkontinenten geschaffen werden.

Ich bin auch eine Theaterschauspielerin. Derzeit entwickle ich ein Radioprojekt, “Ntombi Langa”, für Frauen in Bremen, Deutschland, in der Diaspora und in Subsahara-Afrika.

  • Waren Sie schon einmal so entmutigt, dass Sie aufgeben wollten?

Ja, man fällt in eine Art Depression, wenn man wie ich starke traumatische Situationen erlebt hat. Eine sehr schwere Depression. Das führte dazu, dass ich meine Lehrtätigkeit aufgeben musste. Ich glaube, das war der Moment, in dem ich dachte, ich muss etwas anderes machen. Das Schreiben half mir, aus der Depression herauszukommen. Eines Tages schlief ich und fragte mich: “Wie lange willst du noch schlafen? Wach auf und tu etwas!” Ich bin aufgewacht und habe angefangen, ein Buch zu schreiben. Nach neun Monaten war das Buch fertig. Ein halbes Jahr später war ein zweites Buch fertig. Ein drittes folgte. Und ich begann, Vorträge zu halten und Artikel zu schreiben. So kam ich Stück für Stück aus diesem schwarzen Loch heraus.

  • Wie können Sie sich selbst und afrikanische Frauen in Ihrem Umfeld stärken?

Ich traf afrikanische Opfer von Menschenhandel und begann, sie als Spiegelbilder meiner selbst zu sehen. Ich stellte mir viele Fragen. Ich wollte wissen, welchen Weg diese Frauen gegangen waren. Wie ich, waren sie von Schlepperbanden verschleppt worden. Ich beschloss, ihnen als Mentorin zur Seite zu stehen. Einmal in der Woche traf ich mich mit ihnen. Ich habe ihnen einfach zugehört. Ich ließ sie reden, ohne ihnen Fragen zu stellen. Wir hatten auch andere gemeinsame Aktivitäten wie Tanzen und Spielen. Durch diese Erfahrung wurde mir klar, dass der Schmerz, den einige dieser jungen Afrikanerinnen in sich tragen, derselbe Schmerz ist, den ich in mir trug und immer noch trage. Ob du aus Nigeria oder Simbabwe kommst, dieser Schmerz ist der gleiche. Drei dieser Frauen arbeiten heute im Radioprojekt “Ntombi Langa” mit.

  • Was wird mit dem Radioprojekt “Ntombi Langa” bezweckt? 

Das Radioprogramm NTOMBI LANGA greift visionäre Themen auf, die von den afrikanischen Mainstream-Medien marginalisiert werden, und bringt sie direkt an die Zielgruppe. Themen wie Menschenrechte, Bildung, Gleichberechtigung oder Selbstbestimmung in der Mitte der Gesellschaft.

Das Projekt verfolgt zwei ineinandergreifende Ziele: Zum einen soll das Internetradio afrikanischen Frauen in Bremen, Bremerhaven und Deutschland als Plattform und Forum dienen, um sich untereinander über Migration zu informieren.

Zweitens: Diese Informationen von Flüchtlingen in Bremen, Bremerhaven und Europa an Frauen in Afrika weiterzugeben: Es sind wichtige Informationen für ihr Leben. Bevor sie die Entscheidung treffen und migrieren, werden sie über die Gefahren von Flucht und Vertreibung und über Migration mit ihren Herausforderungen informiert.

  • Was würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Ich würde dem Mädchen den Rat geben, dass sie ihrer Intuition folgen soll. Ich habe mich an mein Bauchgefühl gehalten und es hat immer gestimmt. Man kann sich hier und da beraten lassen. Aber wenn ein Mädchen ihrer Intuition vertraut, wird sie nichts falsch machen. Als ich schwanger wurde, war ich in einer verzweifelten Situation. Ich bin meiner Intuition gefolgt und gegen den Rat meines gesamten Umfelds habe ich mich für mein Kind entschieden. Ratschläge sind gut, aber Ihr Körper kann sich nicht irren.

Am Tag 5 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Petronille Upadek vor:

“Du bist in Ordnung, so wie Du bist.”

Interview mit Petronille Upadek

  • Können Sie sich bitte in wenigen Worten vorstellen?

Mein Name ist Pétronille Upadek geb. Ngo Ngok. Ich komme ursprünglich aus Kamerun. Ich lebe seit 25 Jahren in Deutschland, in Bremen. Ich bin 45 Jahre alt, verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Ich bin damals als Au-pair-Mädchen nach Deutschland gekommen. Normalerweise sollte ich nach einem Jahr wieder Deutschland verlassen. Aber aus einem Jahr wurden zwei. Mit dem Beginn eines Studiums wurde mir klar, dass ich in Deutschland bleiben möchte. Ich bin Diplom-Sozialpädagogin und arbeite seit 2008 bei der Caritas Erziehungshilfe gGmbH in Bremen. Zurzeit bin ich als pädagogische Leitung für zwei stationäre Wohngruppen für unbegleitete minderjährige Ausländer zuständig. Davor bin ich als Familienpädagogin im ambulanten Bereich für den Bereich „ambulante Hilfen zur Erziehung“ in der sozialpädagogischen Familienhilfe und im Krisendienst tätig gewesen. Im 2014 wechselte ich in die Leitungsposition für den stationären Bereich.

  • Was hat Sie dazu bewogen, Ihren Beruf zu wählen?

Ich wurde in meinem Heimatland Kamerun als katholische Christin erzogen. Mein Vater war  Diakon in der katholischen Kirche tätig. Er hat mich inspiriert. Ich dachte sogar daran, in seine Fußstapfen zu treten und Nonne zu werden (lacht). Durch meine Eltern habe ich früh genug mitbekommen,  wie wichtig es war, anderen zu helfen und für sie in der Not, da zu sein. Es war mir schon immer ein Bedürfnis, fast sogar eine Berufung, mich um die Schwächsten der Gesellschaft zu kümmern. Nach einem Jahr als Aupair habe ich mir die Frage gestellt, was ich machen will. Gehe ich wieder zurück in mein Heimatland oder gibt es für mich Möglichkeiten, weiter in Deutschland zu bleiben? Ich habe auch darüber nachgedacht, was ich beruflich machen möchte,  falls ich bleibe (bleiben darf). Das war eine Entscheidung, die ich schnell treffen musste. Ich habe mich dann an der Universität Bremen im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften einschreiben lassen. Es ging damals darum, überhaupt eine Immatrikulation an einer Hochschule nachzuweisen, um in Deutschland bleiben zu dürfen. Dass Wirtschaftswissenschaft nicht mein Ding ist, war mir eigentlich klar. Kurz vor dem dritten Semester habe ich mich dann entschieden, WiWi abzubrechen und Sozialpädagogik zu studieren. Die Auseinandersetzung in meiner Diplomarbeit und die Erfahrungen aus meinen verschiedenen Nebentätigkeiten in der offenen Jugendarbeit während des Studiums haben mich letztendlich den Weg dorthin geebnet, wo ich heute arbeite. 

  • Was sind Ihre Aufgaben als pädagogische Leiterin dieser Einrichtung, in der unbegleitete minderjährige Ausländer untergebracht werden?

Die pädagogische Leitung ist fachlich verantwortlich für die Wohngruppen und ihre Bewohner. Unser tägliches Brot ist Kinderschutz, Sicherung des Kindeswohls im Auftrag des Jugendamtes. Als pädagogische Leitung trage ich u.a. die fachliche Verantwortung für die Fallannahme (Belegung der Plätze in der Einrichtung), die Fallbearbeitung und die pädagogischen Prozesse in meinen Bereichen. Ich kümmere mich in Absprache mit meinen Vorgesetzten um die Fachpersonalakquise, ich begleite und berate die Mitarbeiter*innen in den Wohngruppen,  ich sorge dafür, dass der Dienstplan abgesichert ist oder organisiere bei Bedarf die Vertretung,  ich beteilige mich an der konzeptionellen Weiterentwicklung in meinen Bereichen. Hinzu kommen die Kooperation mit anderen Fachstellen und die Ermittlung der fachlichen Bedarfe. Als pädagogische Leitung bin ich ebenfalls verantwortlich für das Krisenmanagement, unterstütze und berate meine Mitarbeiter*innen in Krisensituationen.  Manchmal kann es auch passieren, dass ich selbst den Dienst übernehmen muss. Aber das kommt selten vor. Selbstverständlich bin ich auch für die Bewohner da, höre zu, berate und sorge dafür, dass sie während des Aufenthaltes bei uns in der Wohngruppe ein schönes Zuhause auf Zeit haben und gute Lebensperspektiven sich für Sie ergeben.  

  • Können Sie Ihren typischen Arbeitsalltag beschreiben?

Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich mir meinen Arbeitstag frei einteilen kann. Natürlich gibt es immer wiederkehrende feste Termine. Ein typischer Arbeitstag bei mir ist eine Mischung aus Lesen, Telefonieren, organisieren, beraten, Lösungen finden und Vorgänge regeln.  Er beginnt damit, dass ich meine E-Mails abrufe, zu Hause oder im Büro. Ich schaue in unser Dokumentationssystem, wie oder was am Vortag oder in der Nacht in den Einrichtungen passiert ist, ob es allen Jugendlichen gut geht, ob es einen Vorfall gegeben hat, um den ich mich als Hauptverantwortliche kümmern muss. Dann gibt es Dienstbesprechungen, die online oder vor Ort stattfinden. Dazwischen muss ich auch schauen, ob die Betreuten bei uns in guten Händen sind und ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alles haben, was sie für einen guten Arbeitstag brauchen. Dies alles ist ein Spagat zwischen Familie und Beruf. Ich würde sagen, stets in Bewegung, auf dem Rad unterwegs, zwar aber auch viel am Schreibtisch und am Telefon. 

  • Was war das für ein Gefühl für Sie, als Sie das erste Mal für diese verantwortungsvolle Aufgabe vorgeschlagen wurden?

Ich bin jemand, der sich nicht gerne in den Vordergrund drückt. Ich habe mich nicht um die Stelle beworben. Meine Vorgesetzten sahen in mir Fähigkeiten, die sie in anderen Bereichen besser einsetzen wollten. Im Jahr 2014 habe ich viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus vielen Nationen, die nach Bremen gekommen sind, betreut. Ich muss sagen, dass ich wirklich Glück hatte und immer noch habe, gute Kolleginnen und Vorgesetzte zu haben, die mich in der Leitungsposition gesehen bzw. unterstützt haben. Ich konnte mich voll und ganz darauf verlassen, dass, auch wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, die sich vielleicht als nicht passend herausstellte, wir das gemeinsam durchgestanden haben. Ich hatte auch deshalb nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Ich habe einfach gesagt, okay, ich versuche es. Ich war und bin dankbar, diese Gelegenheit angeboten bekommen zu haben. 

  • Sind Sie als Frau nichtdeutscher Herkunft bei der Ausübung Ihrer Tätigkeit auf Schwierigkeiten gestoßen?

Eigentlich nicht. Weder privat oder im Studium noch bei der Arbeit. Wenn ich Schwierigkeiten hatte, hatte das weder mit meiner Hautfarbe, mit meinem Aussehen oder mit meiner Herkunft zu tun. Schwierigkeiten betrachte ich in der Regel als Herausforderungen. Während des Studiums waren meine Herausforderungen die Finanzierung des Studiums. Natürlich gibt es immer wieder Situationen, in denen man sich missverstanden oder diskriminiert fühlt. Aber ich gehe immer offen auf mein Gegenüber zu. Ich nutze diese Momente, um meinem Gegenüber zu signalisieren, dass ein Dialog möglich ist. Das bricht meistens das Eis. Ich muss auch sagen, dass das Führen und Begleiten von Menschen keine leichte Aufgabe und ein ständiges Lernen ist. Auch hier war ich mit Herausforderungen konfrontiert, da ich mich in einige Themenbereiche neu einarbeiten musste.

  • Waren Sie schon einmal so entmutigt, dass Sie aufgeben wollten?

Dieser Beruf hat mir immer geholfen, meine Situation zu relativieren. Ich bin zwar auch nicht in Deutschland geboren, so wie viele dieser Menschen, die ich betreue, und ich bin von meiner Familie getrennt, aber ich bin nicht geflüchtet. Das ist ein großer Unterschied. Meine Einstellung ist: Ja, es ist auch für mich schwierig, aber für andere ist es noch viel schwieriger. Auf diese Weise bin ich bestimmten Herausforderungen gegenüber positiv eingestellt. Das hilft mir, voranzukommen.

  • Wie und woher haben Sie die Motivation und die Kraft genommen, trotz der Schwierigkeiten weiterzumachen?

Gerade im Bereich der sozialen Arbeit kommt es sehr oft vor, dass wir mit den Schicksalen von Menschen, Familien, Kindern und Jugendlichen konfrontiert sind. Da ist es wichtig, sich auf sich selbst zu besinnen. Sich gut um sich selbst zu kümmern. Es ist auch wichtig, sich einzugestehen, dass es auch Situationen gibt, die wir nicht in der Lage sind zu lösen. Das müssen wir manchmal akzeptieren. Ich finde es immer wieder hilfreich, wenn man manchmal einen Schritt zurücktritt, um dann weitermachen zu können. Also Abstand nehmen, vor allem auch emotional.

Das Annehmen von Hilfe hilft mir auch, mich zu entlasten. Mein Mann ist in dieser Hinsicht eine große Unterstützung. Ich tausche mich oft mit meiner Schwester aus und habe Freundinnen, die in Schulen oder in rassismuskritischen Arbeitsbereichen tätig sind. 

Zur Zeit höre ich auch viele Podcasts. Mir gefallen die Podcast von Florence Brokowski-Shekete und Tupoka Ogette sehr gut. 

Ich habe auch schwarze Frauen in Deutschland, die mich inspirieren, wie Aminata Touré, Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung in Schleswig-Holstein, oder die kamerunische Gynäkologin Dr. Stéphania Mbianda, die aus meiner Sicht viel für die Sichtbarkeit des Potentials von Menschen aus afrikanischen Ländern tut u.a. 

Auch das Radfahren ist für mich eine große Hilfe. Allein der Gedanke, nach einem anstrengenden Tag oder Arbeitstermin aufs Rad zu steigen, macht mich glücklich (lacht). Ich singe auch sehr gerne. Ich singe einmal in der Woche in einem Gospelchor. Das setzt bei mir positive Energien frei.

  • Welche Botschaft würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Du bist in Ordnung, so wie du bist. In dir steckt alles, was du brauchst. Du musst es nur noch zeigen.

Am Tag 4 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Mariam Aboukerim vor:

“Mache Dir Deine Erwartungen bewusst”

Interview mit Mariam Aboukerim

  • Können Sie sich bitte kurz vorstellen und ein paar Worte zu Ihrer Person sagen?

Mein Name ist Mariam Aboukerim, ich bin 26 Jahre alt und arbeite seit einem Jahr als Erzieherin in Bremen. Zurzeit arbeite ich in der Flüchtlingshilfe in Bremen-Hemelingen, wo ich 33 unbegleitete geflüchtete Jugendliche betreue.  

In meiner Arbeit habe ich bereits mit Systemsprengern gearbeitet, also mit Kindern, die schon in vielen Jugend-Hilfseinrichtungen waren gearbeitet. Wir haben ihnen einen geschützten Lebensraum geboten. Seit 2020 bin ich auch in der Schwarzen Community in Bremen aktiv. Wir haben eine politische Gruppe der Black Community Foundation (heute Blaktivity) gegründet und Demonstrationen organisiert. Ich habe auch an Projekten in Bremen teilgenommen, die sich mit dem Bremer Stadtbild und den strukturellen Überbleibseln der Kolonialzeit beschäftigen. Ich habe mit Kindern Kunst geschaffen, Menschen zusammengebracht und Workshops zu Themen wie Rassismus, kritisches Denken und Sprechen in der Gesellschaft gegeben.

  • Was hat Sie dazu bewogen, Ihren Beruf zu wählen?

Als Kind wollte ich gerne Schauspielerin werden, weil ich es spannend fand, in verschiedene Rollen zu schlüpfen und viele Menschen zu treffen. Ich glaube, dass sich dieser Wunsch in meiner Berufswahl fortgesetzt hat. Ich war selbst ein Hortkind. Da konnte ich immer wieder in Rollen schlüpfen und konnte ganz viele Sachen ausprobieren.  Ich konnte auch malen, singen und tanzen. Ich war damals in vielen verschiedenen Gruppen. Ich war beim Leistungssport, im Gospelchor und habe früh mit dem Journaln angefangen. Mich viel mit mir selbst zu beschäftigen und auseinanderzusetzen, habe ich alles im Hort gelernt. Ich hatte tolle Betreuer im Hort, die mich immer wieder ermutigt haben. Als ich dann 14 war, habe ich meinen Zukunftstag im Hort gemacht indem ich selber war und habe da dann einen Kunstwettbewerb kuratiert, wo niemand verlieren konnte. Das war mir sehr wichtig. Und dann habe ich gemerkt, dass es mir sehr viel Spaß macht und mir sehr viel Energie gibt, Menschen zusammenzubringen. Ich war von der Idee begeistert, dass jeder etwas Besonderes kann und dass jeder vom anderen etwas lernen kann. Das war das erste Mal, dass ich darüber nachgedacht habe, in der Sozialarbeit tätig zu werden. 

  • Hatten Sie als Frau und auf Grund Ihrer Hautfarbe Erfahrungen mit Ablehnung?

Ja, das habe ich sicherlich. Als Kind war mir das, glaube ich, nicht so bewusst. Ich habe natürlich relativ früh gemerkt, dass die Kinder, mit denen ich in einer Klasse war, anders aussahen als ich, oder ich sah anders aus als diese Kinder. Ich kann das jetzt im Nachhinein auf jeden Fall besser erfassen und verstehen, was mir jetzt als erwachsene Frau den Heilungsprozess erleichtert. Ich hatte dann irgendwann in der Grundschule das Glück, dass noch ein schwarzes Mädchen in unserer Klasse war. Und das hat mich auf jeden Fall sofort gestärkt. Im Nachhinein gab es die Schwierigkeit, dass ich dachte, ich bin anders und ich gehöre nicht dazu, weil ich anders aussehe. Als ich angefangen habe in der Geflüchteten Einrichtung zu arbeiten, bin ich natürlich mit einer gewissen Erwartungshaltung dorthin gegangen, auch was die Zusammenarbeit im Kollegium angeht. Und trotzdem habe ich Situationen erlebt, wo mir Kolleg*innen einfach in die Haare gefasst haben oder gesagt haben, dass ich nicht so emotional sein soll. Es ist schon schwierig, nicht direkt in den Stereotyp der “angry black woman” zu verfallen, wenn ich einfach mal sagen will, dass ich es übergriffig finde, wie die Leute mit mir reden und generell umgehen.

  • War das negative Bild, das Sie von sich selbst hattest, das Ergebnis Ihrer eigenen Gedanken oder war es eine Reaktion auf das Verhalten der Menschen Ihnen gegenüber?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich denke, es ist eine Art Wechselwirkung. Ich denke gerne an das Beispiel einer Pflanze, die man in sein Zimmer stellt und die nach ein paar Wochen nicht so richtig blüht. In diesem Fall sage ich der Pflanze nicht: „Warum willst du hier nicht blühen, warum funktioniert das nicht?“ Ich überprüfe, ob sie am richtigen Fenster steht, ob sie genügend Licht bekommt, ob ich sie oft genug gieße, ob sie die richtige Erde bekommt. Ich überlege, was ich tun kann, um der Pflanze zu helfen. Wenn ich mich in einem toxischen Umfeld befinde, in dem ich nicht wachsen kann, denke ich natürlich, dass es an mir liegt. Bis ich eine neue Position einnehmen kann, in der ich verstehe, dass es an meiner Umgebung liegt. Ich muss verstehen, dass es auch davon abhängt, mit wem ich mich umgebe und wessen Meinung ich für richtig halte. Bis zu einem gewissen Alter sind unsere Vorstellungen auch sehr stark von unseren Bezugspersonen geprägt.

  • Haben Sie Personen als Vorbilder, die für Sie eine Quelle der Inspiration waren?

Mein Vorbild war lange Zeit Rihanna (lacht). Rückblickend kann ich sagen, dass ich nicht so viele greifbare schwarze Vorbilder hatte, vor allem keine weiblichen in Deutschland! Wenn ich an die Musik denke, die ich gehört habe, dann waren es hauptsächlich männliche Rapper oder schwarze Frauen wie Beyoncé oder Mariah Carey, die über ihre Emotionen sangen. Ich beschäftigte mich mit ihren Texten und entdeckte, dass man Emotionen in Worte fassen kann.  Auf diese Weise habe ich auch gelernt, Englisch zu sprechen. Das hat mir persönlich sehr geholfen, mit meinen eigenen Gefühlen besser umzugehen und diese in eigenen Songtexten, die ich heute schreibe und performe, zu verarbeiten.

  • Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Perspektiven und Gefühlen in Ihrem Alltag und Ihrer Arbeit um?

Ich habe relativ früh gemerkt, dass es nicht darum geht, wie ich aussehe oder wie meine Freundinnen aussehen, sondern darum, was wir gemeinsam haben, was wir können oder was wir voneinander lernen können. Ich versuche mir immer wieder bewusst zu machen, dass ich in meiner Bubble bin und mit meinen Leuten über die Themen spreche, die mich bewegen. Und da gibt es natürlich eine gewisse Sensibilität. In meiner Arbeit versuche ich immer, Perspektiven zu beziehen und über meine Gefühle und Bedürfnisse in der jeweiligen Situation zu kommunizieren. Ich versuche, auf jemanden so einzugehen, dass ich mich frage, aus welchem Gefühl heraus handelt diese Person und warum muss sie mir jetzt sagen “Boah für eine schwarze Frau bist du echt schön!” oder „Wow, du sprichst ja echt gut Deutsch!”. Vielleicht meint es die Person ja gar nicht böse und auch wenn ich die gleiche Bemerkung oder Frage schon 100 Mal gehört habe. Mein Motto in solchen Situationen ist: Resilienz. Dennoch bemühe ich mich meinen Verletzungen durch alltägliche Mikroaggressionen durch mein Umfeld, Raum zu geben und einen Ausgleich für mich zu schaffen. 

  • Woher und wie haben Sie die Motivation und die Kraft zum Weitermachen trotz aller Schwierigkeiten?

Nach der Demonstrationswelle in 2020 war es auch für mich ein ganz großer Punkt, meinen Selbstwert aufrechtzuerhalten. Ich habe gemerkt, dass wenn ich Hilfe benötige, ich tendiere, die Gedanken und Gefühle anderer Menschen anzunehmen.  Deswegen bin ich äußerst kritisch geworden, mit wem ich mich über was austausche. Ich muss mich immer wieder daran erinnern, dass das, womit ich mich umgebe, also sei es die Medien, die Freizeitaktivitäten oder die Menschen, Dinge sein müssen, die mir eine positive Energie geben sollen. Was mir auch hilft, ist mein Tagebuch zu schreiben. Ich schreibe schon seit meiner Kindheit. Ich habe auch verschiedene Techniken, die mir helfen, wie zum Beispiel Sachen auf einem Zettel aufschreiben und den Zettel verbrennen oder zerknüllen und wegschmeißen. Ich versuche auch zu erkennen, dass es auch schöne Sachen im Leben gibt und dass ich von ihnen umgeben bin. Das können einfache Dinge sein, wie eine gemütliche Atmosphäre, meine Lichterkette oder umgeben von der Natur, meinen Pflanzen zu sein. Sie erinnern mich daran, dass ich von Leben und Licht umgeben bin, auch wenn es manchmal nicht so scheint. Ich gönne mir auch Ruhezeiten und kommuniziere das sehr klar.

  • Wie können Sie sich und die Frauen ausländischer Herkunft in Ihrem Umfeld stärken?

Gerade durch 2020 und den Tod von George Floyd kam eine riesige Welle des Aktivismus auf uns alle zu und die Leute kamen plötzlich zusammen. Natürlich gab es auch vorher schon Bewegungen, wo Menschen zusammenkamen. Etwas, das ich sehr wichtig finde, weil ich es in den letzten Wochen gelernt habe, möchte ich vorwegsagen. 

Kolorismus unter Schwarzen Menschen ist auf jeden Fall ein mächtiges Thema. Ich komme mit Frauen zusammen, die so aussehen wie ich oder ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich. Wenn wir zusammenkommen, geht es darum, dass wir uns gegenseitig stärken, aber vor allem auch darum, dass wir unsere Brüder und Schwestern, die Dark Skins sind, die benachteiligt sind oder die aus anderen marginalisierten Randgruppen kommen, mit einbeziehen. Denn, wenn wir das nicht tun, stehen wir immer wieder am Anfang. 

In den letzten zwei Jahren bin ich mit Menschen über kreative Prozesse für die Aufklärungsarbeit zusammengekommen. Wir haben zum Beispiel an einem Kunstwettbewerb des Museums hier in Bremen teilgenommen, wo es darum ging zu zeigen, wie wir uns mit den kolonialen Kontinuitäten in Bremen fühlen, also mit den Straßennamen und mit den Sehenswürdigkeiten, die nach Kolonialherren benannt sind. Dann bin ich auf die Idee gekommen mit Leinwänden zu arbeiten und mit verschiedenen Techniken. In diesem Projekt habe ich mit meiner Kollegin Maimuna Sallah, die auch in der rassismuskritischen Bildungsarbeit in Bremen tätig ist zusammengearbeitet. Da habe ich wieder die verschiedenen Fähigkeiten und Fertigkeiten von verschiedenen Frauen in einem Projekt zusammengebracht.

  • Haben Sie ein bestimmtes Buch, eine Zeitschrift, einen Podcast, ein Tool oder eine Technik, die Sie lieben und mit uns teilen können?

Ich lese gerne die Bücher Eckhart Tolle. Ich lese sein Buch „Leben und Jetzt“ sehr oft, weil es mich immer daran erinnert, dass, egal wie schwierig es ist, das zählt, was hier und jetzt passiert. Ich bastele auch Visionstafeln, die ich immer auf meinem Schreibtisch vor mir hängen habe.

  • Welche Botschaft würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Mache Dir Deine Erwartungen bewusst. Du hast viel für andere getan und tust es weiterhin, weil es Dich antreibt. Aber sei Dir immer bewusst, dass Du auch für Dich selbst einstehen musst. Das wird Dich Kraft kosten. Versuche also, die Balance zwischen Dir und Deinen Bedürfnissen und den Anliegen der Außenwelt zu halten. Denn Du bist die Hauptakteurin in Deinem Leben, die Person, die am längsten an Deiner Seite sein wird, die Person, um die Du Dich am meisten kümmern musst. Also sei gut zu Dir und nicht zu oft zu hart. You got this!

Am Tag 3 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Nicole Benewaah vor:

“Bitte um Hilfe, wenn Du sie brauchst”

Nicole Benewaah ist Gewinnerin des „Female in Focus“ Preises in 2020, eine Ausschreibung des British Journal of Photography.

Interview mit Nicole Benewaah

  • Können Sie sich bitte kurz vorstellen und ein paar Worte zu Ihrer Person sagen?

Ich bin Fotografin und geboren in Bremen. Ich habe meine Kindheit zwischen Deutschland und Ghana verbracht. Ich bin 29 Jahre alt und habe im Alter von drei bis sechs Jahren in Kumasi in Ghana gelebt. 

  • Wie kam es dazu, dass Sie in Deutschland geboren und die ersten Jahre in Ghana aufgewachsen sind?

Das ist eigentlich relativ einfach. Meine Mutter war damals relativ neu hier in Deutschland und die einzige Familie, die sie hatte, war in Ghana. Es war damals einfach die beste Lösung für sie, mich nach Kumasi für ein paar Jahre zu schicken, damit sie erstmal auf die Beine kommt.

  • Wie fühlen Sie sich als junge Frau mit ghanaischer Abstammung in Deutschland?

Ich denke, weil ich als Kind meine ersten Erinnerungen in Ghana hatte, war es schon anders, als ich nach Deutschland kam. Als Kind in Ghana musste ich nie über meine Hautfarbe nachdenken, aber auf einmal nahmen mich Leute auf eine andere Art und Weise wahr. Dies war mein erster Eindruck von Deutschland.

  • Was war der entscheidende Punkt bei der Wahl Ihres Berufs als Fotografin?

Ich glaube, meine Liebe zur Fotografie kommt daher, dass ich mich schon immer dafür interessiert habe, Momente festzuhalten und Geschichten zu erzählen. Ich habe auch bemerkt, dass die Art und Weise, wie schwarze Menschen sich untereinander porträtieren, sich von der Art und Weise unterscheidet, wie weiße Menschen dies auf dem afrikanischen Kontinent tun. Ich erinnere mich noch an die Fotos, die uns hier in Deutschland in der Kirche gezeigt wurden. Es waren immer Bilder von extrem armen Kindern oder Bilder von Orten, die sich schon sehr lange verändert hatten. Ich erkannte und fand das Ghana, das ich kannte, in diesen Bildern nicht wieder. Außerdem wurden alle schwarzen Menschen in der Fotografie auf homogene Weise dargestellt. Mit meiner fotografischen Arbeit möchte ich dazu beitragen, eine breitere Vielfalt der Erfahrungen und Perspektiven von schwarzen Menschen sichtbar zu machen und dadurch zu einem besseren Verständnis und einer größeren Wertschätzung für die Vielfalt innerhalb und außerhalb der Community beizutragen.

  • Wie hat Ihre Familie reagiert, als Sie ihnen erzählt haben, dass Sie Fotografin werden wollen?

Meine Mutter hat zuerst gedacht, dass ich Journalistin werden möchte (lacht). Was im Grunde nicht ganz falsch ist, denn man macht auch mit Fotos Journalismus. Aber weil meine Arbeit eher einen künstlerischen Aspekt hat, ist sie für sie manchmal etwas zu abstrakt. Trotzdem unterstützt sie mich und ihre Hauptsorge ist, dass ich glücklich bin. 

  • Welche Herausforderungen haben Sie auf Ihrem Weg als Fotografin erlebt?

Eine Herausforderung war sicherlich, als Frau und schwarze Person in einer Branche zu arbeiten, die überwiegend von Männern und Menschen aus anderen ethnischen Gruppen dominiert wird. Eine andere Herausforderung war, meine eigene Identität als Fotografin zu finden und meinen eigenen Stil zu entwickeln.

  • Waren Sie schon einmal so entmutigt, dass Sie aufgeben wollten?

Ich habe mit 15 Jahren mein erstes Praktikum in der Fotografie gemacht. Ich war damals der Meinung, dass man mit Fotografie kein Geld verdienen kann. Außerdem fehlte es mir an Selbstvertrauen. Ich glaubte nicht an mich und dachte, dass ich zu nichts fähig sei. Meine Schullaufbahn war lang, weil ich die Hauptschule und die Realschule besucht, bevor ich ich meine Fachhochschulreife abgeschlossen hatte. Ich war überzeugt, dass ich nicht den Beruf wählen und ausüben konnte, für den ich mich begeisterte. Diesen Mangel an Selbstvertrauen spürte ich auch, als es um die Entscheidung ging, ob ich an der Universität weiterstudieren sollte oder nicht. Ich entschied mich dazu, ein freiwilliges soziales Jahr zu machen, das ich in Ghana absolvierte, danach arbeitete ich zunächst im Einzelhandel. Später habe ich mich erfolglos um einen Ausbildungsplatz beworben. Ich bekam nur Ablehnungen. Trotz dieser zahlreichen Absagen konnte ich die Motivation aufbringen, mich an einer Universität einzuschreiben, und es hat geklappt!

  • Wie kam es zu diesem Mangel an Selbstvertrauen?

Ich glaube, ich wurde von den üblichen Klischees gegenüber Schwarzen beeinflusst: Man ist nicht kompetent, man hat keine Fähigkeiten, etc. Leider war ich nicht die Einzige in dieser Situation. In meinem Freundeskreis hatten wir das Gefühl, nicht zu den „Auserwählten“ zu gehören. Die allgemeine Stimmung war, dass wir uns mit dem, was uns geboten wurde, zufriedengeben mussten und nicht mehr verlangen sollten. Ich durfte zum Beispiel keine Fremdsprache lernen, unter dem Vorwand, dass ich laut meinen Lehrern zuerst Deutsch lernen müsse. Ich dachte wirklich, dass ich nicht intelligent genug war, um kreative Dinge zu tun oder gut in Mathematik zu sein. Und doch war ich in Ghana, bevor ich nach Deutschland kam, eine der besten Schüler*innen in Mathe.

  • Wie und woher haben Sie die Motivation und die Kraft genommen, trotz der Hindernisse weiterzumachen?

Im Alter von 16 Jahren hatte ich das Glück, eine Patin zu haben, die mir ein Programm empfohlen hatte, das Jugendliche mit Migrationshintergrund begleitete. Auch mein Aufenthalt in England von 2018 bis 2019 hat mir die Möglichkeit gegeben, meine Kreativität besser zu erforschen, vor allem in Bezug auf Themen, die mir am Herzen liegen, wie die verschiedenen Darstellungen von schwarzen Menschen in der Fotografie. Ich bin eine Person, die es immer schafft, sich letztendlich selbst zu motivieren. Ich mache auch viele Recherchen im Internet, um mich von anderen Menschen inspirieren zu lassen, die vielleicht die gleichen Zweifel haben wie ich und die diese Hürde überwinden konnten. Auch Bücher haben mir sehr geholfen, insbesondere Fotobücher von verschiedenen Fotografen, die auf unterschiedliche und vielfältige Weise von Schwarzen erzählen und sie darstellen.

  • Wie hat sich Ihr beruflicher Werdegang seit Ihrem Studienabschluss  entwickelt?

Ich habe in 2021 mein Studium abgeschlossen und musste mich entscheiden, ob ich selbstständig oder als Angestellte arbeiten möchte. Als freiberufliche Fotografin ist es anfangs sehr schwierig, über die Runden zu kommen, wenn man nicht ein bisschen Geld auf die Seite gelegt hat. Ich entschied mich daher, als Angestellte zu beginnen und arbeitete in der Modebranche. Das war eine sehr schöne Erfahrung, die ich nach einem Jahr beendete, da ich ein Stipendium der Stiftung Kunstfonds erhalten habe, um mein eigenes Projekt zu starten. Daran arbeite ich gerade. In 2022 hatte ich mehrere Ausstellungen, eine davon war “Stream of the Diaspora” im Dortmunder U.

https://m.facebook.com/dortmunderu/posts/4631480583566666/  

https://www.facebook.com/Nicolebenewaah/

https://www.facebook.com/Nicolebenewaah/posts/pfbid0dgcEzPwPVGmzuGsftCd2SaHeothwUwnE5BLNjdwyNEdjbvqVoHbX2CDx7imaneH1l

  • Welche Botschaft würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Ich würde dieser jungen Frau raten, mehr Selbstvertrauen zu haben und vor allem Hilfe zu suchen, wenn sie sie benötigt. Sie sollte so oft wie möglich Fragen stellen und um Rat bitten. 

Am Tag 2 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Dr. Ferdaouss Adda vor:

„Gib niemals auf!“

Interview mit Dr. Ferdaous Adda

  • Können Sie sich bitte kurz vorstellen und ein paar Worte zu Ihrer Person sagen?

Ich bin 42 Jahre alt und Mutter einer sechsjährigen Tochter. Ich bin in zwei Ländern aufgewachsen. Ich bin in Deutschland geboren, in Offenbach am Main. Mit fünf Jahren bin ich nach Marokko ausgewandert, in das Land meiner Eltern. Dort habe ich etwa zehn Jahre gelebt. Als Teenager bin ich nach Deutschland zurückgekehrt. Was meine berufliche Ausbildung betrifft, bin ich Kulturanthropologin.

  • Wie war es für Sie, nach 10 Jahren in Marokko nach Deutschland zurückzukehren?

Ich war ungefähr 15 Jahre alt, als ich mit meiner Familie zurückkam. Wir haben damals nördlich von Frankfurt in Kronberg gewohnt. Es war nicht einfach für mich, muss ich sagen. Einerseits hatte ich mich gefreut, wieder nach Deutschland zu kommen, andererseits hatte ich alle meine Freunde, einen Großteil meiner Familie und meine Großeltern in Marokko zurückgelassen. Das war zugleich Schmerz und Freude für mich. Als ich dann in Deutschland war, musste ich mich erst einmal in der Schule zurechtfinden. Ich konnte kein Deutsch mehr und sprach Französisch und Darija, den marokkanischen arabischen Dialekt. Es war ein bisschen schwierig, mich in meinem neuen Lebensumfeld einzufinden, weil ich mich fremd gefühlt habe. Ich erinnere mich, dass mein Vater meiner Schwester und mir Fahrräder gekauft hat. Und in den Ferien, wenn die anderen Kinder in den Urlaub fuhren, sind wir immer mit den Fahrrädern 5 km zur nächsten Bücherei gefahren, um uns Bücher zu holen und so Deutsch zu lernen und zu verbessern. Bücher haben mir sehr geholfen, mich besser einzufinden. Ich habe gerne Geschichtsbücher gelesen, um mehr über Deutschland zu erfahren. Ich erinnere mich, dass ich für jedes zweite Wort im Wörterbuch nachschlagen musste (lacht).

  • Was hat Sie dazu bewogen, sich für Ihren Beruf zu entscheiden?

Ich wollte immer bildende Kunst studieren. Ich habe als Kind und als Jugendliche leidenschaftlich gerne gemalt und immer irgendwas mit meinen Händen gemacht. Die Vorstellung davon, wie man mit verschiedenen Farben spielen und verschiedene Ideen auf Papier bringen kann, hat mich immer fasziniert.

  • Wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie ihnen erzählt haben, dass Sie Kunst studieren wollen?

Als ich meinen Eltern gesagt habe, dass ich studieren möchte, konnten sie mir leider nicht sagen, was ich machen soll muss. Sie hatten zwar schon eine Ausbildung in Marokko absolviert, aber sie hatten keine Berührungspunkte mit dem Universitätsstudium in Deutschland. Auf der anderen Seite war es für sie sehr wichtig, dass ich eine Ausbildung mache und auf eigenen Füßen stehe. Deshalb begann ich eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten in einer Anwaltskanzlei, die ich aber nur ein Jahr lang gemacht habe. Obwohl ich die Ausbildung nicht abgeschlossen habe, habe ich dort viel gelernt, z.B. Arbeitsabläufe, wie man einen Computer benutzt, wie man Gesetze nachschlägt und wie die Arbeitswelt aussieht. Während dieser Zeit habe ich mich erkundigt, wie man sich an einer Universität einschreiben kann. Ich habe mich dann an der Universität Marburg für Kulturanthropologie eingeschrieben. Ich hatte Ethnologie als Hauptfach und Rechtswissenschaften und Romanistik als Nebenfächer.

  • Was genau ist die Arbeit einer Kulturanthropologin bzw. eines Kulturanthropologen?

Ich kann viele verschiedene Sachen als Kulturanthropologin machen. Die Ethnologie an sich beschäftigt sich mit Menschen und ihren Wahrnehmungen von der Welt und ihren verschiedenen Ausdrucksweisen, also ihren Kulturen. Dementsprechend ist das sehr umfassend, was so ein Fach anbietet. Es ist nicht sehr spezialisiert. Man kann natürlich damit wissenschaftlich arbeiten, aber man kann auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie zum Beispiel in kulturellen Bereichen, im Tourismus oder in der Politik. Es kommt immer darauf an, was man noch mitbringt. Ich persönlich wollte promovieren, weil ich über das Thema des Geschichteerzählens in Marokko gerne forschen wollte.

  • Haben Sie Personen als Vorbilder, die für Sie eine Quelle der Inspiration waren?

Es gibt einige. Tina Turner (lacht). Als ich sie zum ersten Mal im Fernsehen sah, war ich sofort fasziniert von der Kraft, die sie ausstrahlte. Es gibt auch marokkanische Akademikerinnen wie die Soziologin und Feministin Fatima Mernissi, die mich geprägt haben. Nicht zu vergessen die Frauen in meiner Familie, die starke Persönlichkeiten sind, wie meine Großmutter oder meine Mutter. Es gibt auch Frauen, mit denen ich hier in Bremen Kontakt habe, die auch eine Inspiration für mich sind. Da würde ich zum Beispiel Virginie Kamche nennen, die eine sehr starke Frau ist.

  • Hatten Sie als Frau und auf Grund Ihrer Herkunft Erfahrungen mit Ablehnung?

Ja, natürlich. Es kommt auch heute noch vor, dass ich nicht ernst genommen oder unterschätzt werde. Es gibt auch Versuche der Bevormundung von Seiten einiger Leute. Zum Glück habe ich auch Menschen angetroffen, die mich unterstützt haben. Und deshalb habe ich mich immer auf die positiven Erfahrungen fokussiert.

  • Wie und woher haben Sie die Motivation und die Kraft genommen, trotz der Schwierigkeiten weiterzumachen?

Für mich waren Schwierigkeiten immer Herausforderungen, aus denen ich gestärkt herausgekommen bin. Es ist auch wichtig für mich, meine Gefühle auszudrücken und auch zu weinen, wenn es nötig ist. Ich höre auch viel Musik. Das gibt mir viel Kraft und hilft mir, mich auf mich selbst zu fokussieren. Im Moment tut mir die Musik der britischen Rapperin Little Simz besonders gut. Sampa the great ist eine sambische Sängerin, Rapperin und Songwriterin, die ich auch sehr mag. Außerdem hilft es mir, gut und lange zu schlafen. Ich mache auch Sport, vor allem Karate.

  • Haben Sie ein bestimmtes Buch, eine Zeitschrift, einen Podcast, ein Tool oder eine Technik, die Sie lieben und mit uns teilen können?

Ich würde „Why We Mattervon Dr. Emilia Roig empfehlen. Ein anderes Buch, das ich gerade lese, ist „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ von Mohammed Mbougar Sarr, dass ich sehr interessant finde.

  • Welche Botschaft würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Ich würde ihr sagen, dass ich stolz auf sie bin. Sie soll niemals aufgeben. Wenn man Ziele erreichen will, muss man wissen, dass es verschiedene Wege gibt, diese Ziele zu erreichen. Man muss den Mut haben, unterschiedliche Routen auszuprobieren und sich vor allem nicht entmutigen lassen, wenn der Weg schwierig ist.

Am Tag 1 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Virginie Kamche vor:

„Mach Dich stark für Deine Ideen“

Für ihr über 20-jähriges Engagement für interkulturelle Öffnung und ihre Rolle als Sprachrohr der afrikanischen Community in Bremen wurde Virginie Kamche 2019 mit dem Bremer Diversity Preis ausgezeichnet.

Interview mit Virginie Kamche

  • Könnten Sie sich bitte kurz vorstellen und ein paar Worte zu Ihrer Person sagen?

Ich komme aus Kamerun und bin Fachpromotorin für Migration, Diaspora und Entwicklung in Bremen. Ich habe Bauwesen und Informatik in Frankreich und Bremen studiert. Ich leite heute die AG Migration und Vielfalt der SPD Bremen und den Sprachenrat. Ich habe den Verein Afrika Netzwerk Bremen e. V. im Jahr 2010 mitgegründet, nachdem ich bei meiner Ankunft in Deutschland mit Ungerechtigkeit, Rassismus und Diskriminierung konfrontiert wurde. Das Ziel des Vereins war es, eine Plattform zu bieten, die Afrikaner:innen in der Stadt zusammenbringt, um ihnen zu helfen, ihre Rechte zu verteidigen.

2014 beendete ich mein Referendariat und arbeitete einige Jahre als Lehrerin an einem Gymnasium in Bremerhaven. Außerdem bin ich Mutter von zwei Kindern. Seit 2017 bin ich Fachpromotorin für Migration, Diaspora und Entwicklung in Bremen. In dieser Position geht es darum, die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen in der Gemeinschaft der Migranten zu fördern.

  • Was waren die Beweggründe für Ihr Engagement?

Ziel war es, die Community zusammenzubringen, um gemeinsam über unsere Probleme zu diskutieren und Lösungen zu finden. Ich sehe mich in erster Linie als Mensch, als Teil der Weltgemeinschaft. Ich liebe die Menschen, unabhängig davon, wo sie herkommen. Deshalb beschränkt sich mein Engagement nicht nur auf die afrikanische Gemeinschaft. Ich arbeite zum Beispiel eng mit bulgarischen, indonesischen, indischen und anderen migrantischen Communities zusammen. So konnten wir gemeinsam mit dem Focke-Museum in 2019 das erste Bremer Festival der Kulturen initiieren.

  • Beschreiben Sie Ihren typischen Tag bei der Ausübung Ihres Berufs.

Mein Arbeitstag beginnt normalerweise sehr früh am Vormittag. Ich habe eine Funktion, in der ich viel zuhören muss. Es kommt nicht selten vor, dass ich schon um sechs Uhr morgens angerufen werde. Dann geht es weiter mit Besprechungen und der Bearbeitung von Anfragen per E-Mail. Und manchmal bin ich bis Mitternacht damit beschäftigt. Um Migranten zu erreichen, organisiere ich regelmäßig kulturelle Veranstaltungen wie den Tag der Muttersprache, das Festival der Kulturen oder den Diaspora-Preis. Das Ganze ist zwar eine Menge Selbstverzicht, aber ich habe Spaß an der Arbeit. Noch motivierter bin ich, wenn ich die konkreten Ergebnisse dieser jahrelangen Arbeit sehe, wie zum Beispiel die Möglichkeit, jungen Migranten Praktikumsplätze anzubieten.

  • Haben Sie sich schon einmal so entmutigt gefühlt, dass Sie aufgeben wollten?

Oh ja! Sehr oft (lacht). Der Kampf gegen Diskriminierung bringt mit sich, dass wir mit vielen Formen von Diskriminierung konfrontiert werden. Es ist nicht einfach, mit Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenzuarbeiten. Man muss Überzeugungsarbeit leisten, Rückschläge und Enttäuschungen einstecken. Zum Glück gibt es auch viele positive Aspekte. 

  • Wie und woher haben Sie die Motivation und die Kraft genommen, trotz der Schwierigkeiten weiterzumachen?

Ich freue mich über kleine Erfolge. Wenn ein Jugendlicher sagt, dass er dank uns einen Praktikumsplatz bekommen oder seine Mathe-Note verbessert hat, oder eine Frau wertschätzt, dass sie dank uns, Erfahrung im Einzelhandel gemacht hat, weil es ihr Traumberuf ist, erfreuet es mich. Das motiviert mich zusätzlich und bestärkt mich darin, dass sich mein Einsatz lohnt. Viel Geduld bringe ich auch mit. Und die braucht man für diesen Job. Ich bin auch froh, dass ich von der Stadt Bremen unterstützt werde. Auch mein Eintritt in die SPD und mein politisches Engagement haben sich durch diese Arbeit ergeben. Ich beabsichtige, bei der nächsten Wahl für das Abgeordnetenmandat zu kandidieren.

  • Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Ihr Engagement mit dem Wissen von heute noch einmal zu beginnen, was würden Sie anders machen?

Als der Verein gegründet wurde, versuchte ich, so viele Menschen wie möglich für meine Idee zu gewinnen. Das Wichtigste für mich war, so viele Leute wie möglich im Verein zu haben. Heute, mit der Erfahrung, die ich gesammelt habe, würde ich anders handeln. Ich würde mehr Wert auf die Qualität der Personen legen, mit denen ich meine Projekte auf die Beine stellen möchte. Ich würde mich in erster Linie davon überzeugen, dass die Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten möchte, von den gleichen Werten motiviert sind wie ich selbst und dass sie verstehen, was auf dem Spiel steht.

  • Was würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Sie braucht Selbstvertrauen, Wertschätzung, Sichtbarkeit, Solidarität und Vertrauen in ihre Arbeit. Wenn sie eine Idee hat und von ihr überzeugt ist, muss sie sich für sie einsetzen. Nichts fällt einem in den Schoß. Ich möchte jungen Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund zeigen, dass es eine Frau wie sie gibt, die ihnen ähnlich ist und es auch einiges auf den Weg gebracht hat.

Am Tag 10 unserer Kampagne in Berlin, stellen wir Ihnen Frau Aischa Sharief vor:

„Verwandeln Sie das, was andere als Hindernis empfinden, in einen Vorteil“

Interview mit Aischa Sharief

Aischa Sharief, können Sie sich mit ein paar Worten vorstellen?

Ich heiße Aischa Scharief und wohne in Berlin. Mein Vater ist Somalier und meine Mutter Deutsche. Meine Eltern leben seit 60 Jahren zusammen. Ich habe Jura studiert und bin seit 1995 Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Familienrecht. Meine beide Geschwister sind ebenfalls Rechtsanwälte in Berlin.

Warum haben Sie sich für ein Jurastudium entschieden? Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Nach dem Abitur wusste ich nicht wirklich, was ich machen wollte. Ich begann ein Wirtschaftsstudium, merkte aber bald, dass ich damit nicht zurechtkam. Also habe ich meine ältere Schwester um Rat gefragt, die bereits Jura studierte. Sie hat mir geraten, Jura zu studieren und ich weiß noch genau, wie sie sagte, „das kann jeder Idiot“(lacht). Also versuchte ich es mit Jura und schloss mein Studium ab. Es war zwar manchmal sehr mühsam, aber ich habe auch sehr gute Erfahrungen gemacht.

Warum haben Sie sich für ein Studium an der Universität entschieden, anstatt eine Berufsausbildung zu machen?

Meine Eltern waren maßgeblich an dieser Entscheidung beteiligt. Sie wollten, dass alle ihre Kinder zur Universität gehen. Sie verbanden mit unserer universitären Ausbildung unsere gesellschaftliche Anerkennung als afrikanisch-deutsche Kinder. Für sie war es eine Selbstverständlichkeit, denn auch sie hatten eine Universität besucht. Der Hintergrund der Eltern hat sehr oft einen großen Einfluss auf die Orientierung der Kinder. Meine ältere Tochter zum Beispiel studiert jetzt auch Jura (lacht) und die jüngere Betriebswirtschaft. Es ist ein Fakt, dass es für Kinder, deren Eltern studiert haben, sehr oft leichter ist, dies auch zu tun, da es bestimmte Hindernisse, wie die Finanzierung des Studiums oft nicht gibt. Für Einwandererfamilien kommt noch die Sprachbarriere hinzu, die für junge Menschen, die studieren wollen, ein ernsthaftes Hindernis darstellen kann. Für ein erfolgreiches Jurastudium ist das Beherrschen der deutschen Sprache unerlässlich, denn die Sprache ist das wichtigste Arbeitsmittel später im juristischen Beruf.

Hatten Sie Mentoren oder wichtige Personen, an die Sie sich wenden konnten, wenn Sie Fragen zu Ihrer Berufswahl hatten?

Während meines Studiums konnte ich natürlich immer zu meiner Schwester gehen, die bereits Jura studierte. Aber auch alle Freunde, die ich während des Studiums kennengelernt habe, haben mich immer motiviert und ermutigt, nie aufzugeben. Neben meiner Familie waren meine Freunde eine große Hilfe, denn damals wusste ich nicht wirklich, was ich nach dem Studium machen wollte. Ich hätte leicht das Handtuch geworfen, wenn ich nicht so gut umgeben gewesen wäre.

Welchen Rat können Sie einem jungen schwarzen Mädchen geben, das in Deutschland den gleichen Beruf wie Sie ausüben möchte?

Erfahrungen mit verschiedenen Kulturen sollten in juristischen Berufen nicht als Hindernis angesehen werden, ganz gleich, ob sie Rechtsanwältin, Staatsanwältin oder Richterin werden möchte. Es handelt sich um Berufe, die sowohl gesunden Menschenverstand und Lebenserfahrung erfordern, aber natürlich auch das Beherrschen des juristischen Handwerks. Die meisten Zuwanderer oder ihre in Deutschland geborenen Kinder sprechen mehrere Sprachen und sind meist lebenserfahrener als deutsche Kinder. Das sind Vorzüge, die es leichter machen, Menschen besser zu verstehen und sich in sie einzufühlen; Eigenschaften, die in diesen Berufen notwendig sind. Leider muss eine junge schwarze Frau auch damit rechnen, dass sie manchmal mit bestimmten Klischees und Stereotype aufgrund ihrer Hautfarbe konfrontiert wird. In meinem Beruf werde ich immer wieder gefragt, ob ich im Ausländerrecht spezialisiert bin oder welche andere Sprache ich noch spreche. Manchmal sehe ich, dass ich für meinen Beruf mehr bewundert werde als weiße Kolleginnen, als ob mir das Studieren wegen meiner Hautfarbe schwerer gefallen sei. Doch all dies sollte ein junges Schwarzes Mädchen niemals entmutigen. Sie sollte nie zögern, bei Fragen oder wenn Hilfe notwendig, ist, sich Menschen anzuvertrauen, die ihr Potenzial dann sehen, wenn sie es selbst vielleicht nicht sieht. Das können die Eltern, Freunde der Eltern oder andere Menschen sein. Sie muss das, was andere ihr als Hindernis unterstellen, in einen Vorteil verwandeln und ihren Ärger über diese Ungerechtigkeiten in Motivation umwandeln.