“Vertraue und folge Deiner Intuition”

Interview mit Nomazulu Thata

  • Können Sie sich bitte kurz vorstellen und ein paar Worte zu Ihrer Person sagen?

Mit 22 Jahren bin ich mit einem Stipendium in die DDR gekommen, wo ich als Naturwissenschaftlerin ausgebildet wurde. Ich habe einen Masterabschluss in Metallurgie. An der Canterbury Christ Church University in Großbritannien habe ich zusätzlich ein Postgraduate Certificate in Education erworben. Ich lebe und arbeite in Bremen seit 2010 und unterrichte dort Chemie. Zudem engagiere ich mich seit vielen Jahren in den sozialen Medien, insbesondere bei der täglichen Online-Zeitung „Bulawayo 24 Social News Media Zimbabwe„. Vor allem aber bin ich die stolze Mutter meines Sohnes. Er ist promovierter Biologe und möchte sich auf Virologie spezialisieren.

  • Warum haben Sie sich für ein Studium der Metallurgie entschieden? 

Ich bin eine Überlebende der Bombardierung der Lager der Freedom Fighters in Sambia. Damals besuchte der ostdeutsche Staatschef die zerstörten Lager und gab mir und anderen die Möglichkeit, in Ostdeutschland zu studieren. Ziel war es, junge Afrikaner_innen in der DDR auszubilden, damit sie später zurückkehren und sich um den Wiederaufbau ihres Landes kümmern können. Da alle sagten, die Stärke Afrikas seien seine Bodenschätze, war für mich das Studium der Metallurgie naheliegend. Damals, Ende der 70er Jahre, war die Zeit sehr von revolutionärem Geist geprägt. Die Wahl des Studiengangs hatte mehr mit dem wirtschaftlichen Aufbau des Landes Simbabwe zu tun.

  • Wie sind Sie Chemielehrerin geworden? 

Ich bin Lehrerin geworden, weil es für mich damals sehr schwer war, in Deutschland eine Arbeit als Metallingenieurin zu finden. Außerdem war ich fest davon überzeugt, dass ich nach Afrika zurückkehren musste. 1994 ging ich als Assistenzprofessorin für Metallurgie nach Simbabwe an die Universität Harare. Ich hatte bereits ein Kind – eine Herausforderung in einem Land, das nicht mehr mein Land war. Dann kehrte ich nach Deutschland zurück, um an der Technischen Universität Berlin zu promovieren. Danach bin ich 1998 nach Südafrika gegangen. Dieser ständige Wechsel von einem Land ins andere war für meinen damals siebenjährigen Sohn eine große Herausforderung. Er hatte Schwierigkeiten, sich im südafrikanischen System zurechtzufinden und sprach kein Englisch. Ich entschied mich, nach Deutschland zurückzukehren, um meinem Sohn ein Stück Normalität zu geben und konzentrierte mich darauf, ihm eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Eine Zeit lang war ich arbeitslos. Damals lag die Arbeitslosenquote für Akademiker in Deutschland bei 11 %. Ich beschloss, nach England zu gehen. Irgendwie schaffte ich es, an der Universität Reading angenommen zu werden, wo ich Chemie unterrichtete.

  • Woher und wie haben Sie die Motivation und die Kraft zum Weitermachen trotz aller Schwierigkeiten?

Ich glaube, ein Kind zu haben, hat so vieles geheilt. Ich glaube nicht, dass ich so viel getan hätte, wenn mein Kind nicht da gewesen wäre oder wenn ich mich anders entschieden hätte. Ich habe einfach gesagt: “Dieses Kind ist da, und jetzt ist es meine Aufgabe, mich um dieses Kind zu kümmern“. Ich erinnere mich, dass ich mir gesagt habe, dass es meine Verantwortung ist, mich um dieses Kind zu kümmern. Mein Sohn hat mir so viel gegeben. Mein Kind gibt mir Kraft.

  • Welche Erfahrungen haben Sie als Schwarze Frau in der Arbeitswelt hier in Deutschland gemacht?

Ich habe sehr gute Erfahrungen gemacht, sowohl im Studium als auch in der Arbeitswelt. Ich muss auch sagen, dass ich im Allgemeinen sehr positiv eingestellt bin. Anzeichen von Rassismus sind mir erst aufgefallen, als mein Sohn in die Schule kam. Diese Art von Rassismus war mir bis dahin unbekannt. Das war einer der Auslöser für meine Entscheidung, nach England zu gehen.

  • Welche Aktivitäten haben Sie jetzt im Ruhestand?

Ich schreibe Bücher und Artikel für Zeitschriften. Ich bin auch politisch engagiert. Ich bereite mich auf die Europawahlen 2024 vor, die ich hoffentlich gewinnen werde. Mein Ziel ist es, als EU-Abgeordnete nach Brüssel zu gehen und dort zu versuchen, die Umsetzung des EU-Marshallplans mit Afrika zu ermöglichen – „AID FOR AFRICA“ muss abgeschafft werden und ein RESET muss her. Der Begriff RESET ist heute das Schlagwort. Es muss eine neue Definition zwischen der EU und Afrika als Nachbarkontinenten geschaffen werden.

Ich bin auch eine Theaterschauspielerin. Derzeit entwickle ich ein Radioprojekt, “Ntombi Langa”, für Frauen in Bremen, Deutschland, in der Diaspora und in Subsahara-Afrika.

  • Waren Sie schon einmal so entmutigt, dass Sie aufgeben wollten?

Ja, man fällt in eine Art Depression, wenn man wie ich starke traumatische Situationen erlebt hat. Eine sehr schwere Depression. Das führte dazu, dass ich meine Lehrtätigkeit aufgeben musste. Ich glaube, das war der Moment, in dem ich dachte, ich muss etwas anderes machen. Das Schreiben half mir, aus der Depression herauszukommen. Eines Tages schlief ich und fragte mich: “Wie lange willst du noch schlafen? Wach auf und tu etwas!” Ich bin aufgewacht und habe angefangen, ein Buch zu schreiben. Nach neun Monaten war das Buch fertig. Ein halbes Jahr später war ein zweites Buch fertig. Ein drittes folgte. Und ich begann, Vorträge zu halten und Artikel zu schreiben. So kam ich Stück für Stück aus diesem schwarzen Loch heraus.

  • Wie können Sie sich selbst und afrikanische Frauen in Ihrem Umfeld stärken?

Ich traf afrikanische Opfer von Menschenhandel und begann, sie als Spiegelbilder meiner selbst zu sehen. Ich stellte mir viele Fragen. Ich wollte wissen, welchen Weg diese Frauen gegangen waren. Wie ich, waren sie von Schlepperbanden verschleppt worden. Ich beschloss, ihnen als Mentorin zur Seite zu stehen. Einmal in der Woche traf ich mich mit ihnen. Ich habe ihnen einfach zugehört. Ich ließ sie reden, ohne ihnen Fragen zu stellen. Wir hatten auch andere gemeinsame Aktivitäten wie Tanzen und Spielen. Durch diese Erfahrung wurde mir klar, dass der Schmerz, den einige dieser jungen Afrikanerinnen in sich tragen, derselbe Schmerz ist, den ich in mir trug und immer noch trage. Ob du aus Nigeria oder Simbabwe kommst, dieser Schmerz ist der gleiche. Drei dieser Frauen arbeiten heute im Radioprojekt “Ntombi Langa” mit.

  • Was wird mit dem Radioprojekt “Ntombi Langa” bezweckt? 

Das Radioprogramm NTOMBI LANGA greift visionäre Themen auf, die von den afrikanischen Mainstream-Medien marginalisiert werden, und bringt sie direkt an die Zielgruppe. Themen wie Menschenrechte, Bildung, Gleichberechtigung oder Selbstbestimmung in der Mitte der Gesellschaft.

Das Projekt verfolgt zwei ineinandergreifende Ziele: Zum einen soll das Internetradio afrikanischen Frauen in Bremen, Bremerhaven und Deutschland als Plattform und Forum dienen, um sich untereinander über Migration zu informieren.

Zweitens: Diese Informationen von Flüchtlingen in Bremen, Bremerhaven und Europa an Frauen in Afrika weiterzugeben: Es sind wichtige Informationen für ihr Leben. Bevor sie die Entscheidung treffen und migrieren, werden sie über die Gefahren von Flucht und Vertreibung und über Migration mit ihren Herausforderungen informiert.

  • Was würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Ich würde dem Mädchen den Rat geben, dass sie ihrer Intuition folgen soll. Ich habe mich an mein Bauchgefühl gehalten und es hat immer gestimmt. Man kann sich hier und da beraten lassen. Aber wenn ein Mädchen ihrer Intuition vertraut, wird sie nichts falsch machen. Als ich schwanger wurde, war ich in einer verzweifelten Situation. Ich bin meiner Intuition gefolgt und gegen den Rat meines gesamten Umfelds habe ich mich für mein Kind entschieden. Ratschläge sind gut, aber Ihr Körper kann sich nicht irren.

Am Tag 6 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Nomazulu Thata vor: