“Bitte um Hilfe, wenn Du sie brauchst”

Nicole Benewaah ist Gewinnerin des „Female in Focus“ Preises in 2020, eine Ausschreibung des British Journal of Photography.

Interview mit Nicole Benewaah

  • Können Sie sich bitte kurz vorstellen und ein paar Worte zu Ihrer Person sagen?

Ich bin Fotografin und geboren in Bremen. Ich habe meine Kindheit zwischen Deutschland und Ghana verbracht. Ich bin 29 Jahre alt und habe im Alter von drei bis sechs Jahren in Kumasi in Ghana gelebt. 

  • Wie kam es dazu, dass Sie in Deutschland geboren und die ersten Jahre in Ghana aufgewachsen sind?

Das ist eigentlich relativ einfach. Meine Mutter war damals relativ neu hier in Deutschland und die einzige Familie, die sie hatte, war in Ghana. Es war damals einfach die beste Lösung für sie, mich nach Kumasi für ein paar Jahre zu schicken, damit sie erstmal auf die Beine kommt.

  • Wie fühlen Sie sich als junge Frau mit ghanaischer Abstammung in Deutschland?

Ich denke, weil ich als Kind meine ersten Erinnerungen in Ghana hatte, war es schon anders, als ich nach Deutschland kam. Als Kind in Ghana musste ich nie über meine Hautfarbe nachdenken, aber auf einmal nahmen mich Leute auf eine andere Art und Weise wahr. Dies war mein erster Eindruck von Deutschland.

  • Was war der entscheidende Punkt bei der Wahl Ihres Berufs als Fotografin?

Ich glaube, meine Liebe zur Fotografie kommt daher, dass ich mich schon immer dafür interessiert habe, Momente festzuhalten und Geschichten zu erzählen. Ich habe auch bemerkt, dass die Art und Weise, wie schwarze Menschen sich untereinander porträtieren, sich von der Art und Weise unterscheidet, wie weiße Menschen dies auf dem afrikanischen Kontinent tun. Ich erinnere mich noch an die Fotos, die uns hier in Deutschland in der Kirche gezeigt wurden. Es waren immer Bilder von extrem armen Kindern oder Bilder von Orten, die sich schon sehr lange verändert hatten. Ich erkannte und fand das Ghana, das ich kannte, in diesen Bildern nicht wieder. Außerdem wurden alle schwarzen Menschen in der Fotografie auf homogene Weise dargestellt. Mit meiner fotografischen Arbeit möchte ich dazu beitragen, eine breitere Vielfalt der Erfahrungen und Perspektiven von schwarzen Menschen sichtbar zu machen und dadurch zu einem besseren Verständnis und einer größeren Wertschätzung für die Vielfalt innerhalb und außerhalb der Community beizutragen.

  • Wie hat Ihre Familie reagiert, als Sie ihnen erzählt haben, dass Sie Fotografin werden wollen?

Meine Mutter hat zuerst gedacht, dass ich Journalistin werden möchte (lacht). Was im Grunde nicht ganz falsch ist, denn man macht auch mit Fotos Journalismus. Aber weil meine Arbeit eher einen künstlerischen Aspekt hat, ist sie für sie manchmal etwas zu abstrakt. Trotzdem unterstützt sie mich und ihre Hauptsorge ist, dass ich glücklich bin. 

  • Welche Herausforderungen haben Sie auf Ihrem Weg als Fotografin erlebt?

Eine Herausforderung war sicherlich, als Frau und schwarze Person in einer Branche zu arbeiten, die überwiegend von Männern und Menschen aus anderen ethnischen Gruppen dominiert wird. Eine andere Herausforderung war, meine eigene Identität als Fotografin zu finden und meinen eigenen Stil zu entwickeln.

  • Waren Sie schon einmal so entmutigt, dass Sie aufgeben wollten?

Ich habe mit 15 Jahren mein erstes Praktikum in der Fotografie gemacht. Ich war damals der Meinung, dass man mit Fotografie kein Geld verdienen kann. Außerdem fehlte es mir an Selbstvertrauen. Ich glaubte nicht an mich und dachte, dass ich zu nichts fähig sei. Meine Schullaufbahn war lang, weil ich die Hauptschule und die Realschule besucht, bevor ich ich meine Fachhochschulreife abgeschlossen hatte. Ich war überzeugt, dass ich nicht den Beruf wählen und ausüben konnte, für den ich mich begeisterte. Diesen Mangel an Selbstvertrauen spürte ich auch, als es um die Entscheidung ging, ob ich an der Universität weiterstudieren sollte oder nicht. Ich entschied mich dazu, ein freiwilliges soziales Jahr zu machen, das ich in Ghana absolvierte, danach arbeitete ich zunächst im Einzelhandel. Später habe ich mich erfolglos um einen Ausbildungsplatz beworben. Ich bekam nur Ablehnungen. Trotz dieser zahlreichen Absagen konnte ich die Motivation aufbringen, mich an einer Universität einzuschreiben, und es hat geklappt!

  • Wie kam es zu diesem Mangel an Selbstvertrauen?

Ich glaube, ich wurde von den üblichen Klischees gegenüber Schwarzen beeinflusst: Man ist nicht kompetent, man hat keine Fähigkeiten, etc. Leider war ich nicht die Einzige in dieser Situation. In meinem Freundeskreis hatten wir das Gefühl, nicht zu den „Auserwählten“ zu gehören. Die allgemeine Stimmung war, dass wir uns mit dem, was uns geboten wurde, zufriedengeben mussten und nicht mehr verlangen sollten. Ich durfte zum Beispiel keine Fremdsprache lernen, unter dem Vorwand, dass ich laut meinen Lehrern zuerst Deutsch lernen müsse. Ich dachte wirklich, dass ich nicht intelligent genug war, um kreative Dinge zu tun oder gut in Mathematik zu sein. Und doch war ich in Ghana, bevor ich nach Deutschland kam, eine der besten Schüler*innen in Mathe.

  • Wie und woher haben Sie die Motivation und die Kraft genommen, trotz der Hindernisse weiterzumachen?

Im Alter von 16 Jahren hatte ich das Glück, eine Patin zu haben, die mir ein Programm empfohlen hatte, das Jugendliche mit Migrationshintergrund begleitete. Auch mein Aufenthalt in England von 2018 bis 2019 hat mir die Möglichkeit gegeben, meine Kreativität besser zu erforschen, vor allem in Bezug auf Themen, die mir am Herzen liegen, wie die verschiedenen Darstellungen von schwarzen Menschen in der Fotografie. Ich bin eine Person, die es immer schafft, sich letztendlich selbst zu motivieren. Ich mache auch viele Recherchen im Internet, um mich von anderen Menschen inspirieren zu lassen, die vielleicht die gleichen Zweifel haben wie ich und die diese Hürde überwinden konnten. Auch Bücher haben mir sehr geholfen, insbesondere Fotobücher von verschiedenen Fotografen, die auf unterschiedliche und vielfältige Weise von Schwarzen erzählen und sie darstellen.

  • Wie hat sich Ihr beruflicher Werdegang seit Ihrem Studienabschluss  entwickelt?

Ich habe in 2021 mein Studium abgeschlossen und musste mich entscheiden, ob ich selbstständig oder als Angestellte arbeiten möchte. Als freiberufliche Fotografin ist es anfangs sehr schwierig, über die Runden zu kommen, wenn man nicht ein bisschen Geld auf die Seite gelegt hat. Ich entschied mich daher, als Angestellte zu beginnen und arbeitete in der Modebranche. Das war eine sehr schöne Erfahrung, die ich nach einem Jahr beendete, da ich ein Stipendium der Stiftung Kunstfonds erhalten habe, um mein eigenes Projekt zu starten. Daran arbeite ich gerade. In 2022 hatte ich mehrere Ausstellungen, eine davon war “Stream of the Diaspora” im Dortmunder U.

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  • Welche Botschaft würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?

Ich würde dieser jungen Frau raten, mehr Selbstvertrauen zu haben und vor allem Hilfe zu suchen, wenn sie sie benötigt. Sie sollte so oft wie möglich Fragen stellen und um Rat bitten. 

Am Tag 3 unserer Kampagne in Bremen, stellen wir Ihnen Nicole Benewaah vor: