Nichts wird Dir geschenkt. Du musst immer kämpfen, um Deine Ziele zu erreichen.
Bild @ Nicole Beneewah
Interview mit Rocio Picard
Können Sie sich kurz vorstellen und einige besonders prägende Ereignisse oder Stationen in Ihrem bisherigen Leben nennen?
Mein Name ist Rocio Santacruz Gonzalon de Picard. Ich bin in Ecuador geboren und aufgewachsen und kam mit 19 Jahren als Kindermädchen nach Deutschland. Ich bin Rentnerin und seit 2015 ehrenamtlich als gewählte Ratsfrau im Gemeinderat von Tostedt. In meiner aktiven Berufszeit war ich Krankenpflegerin und habe viele Jahre als Altenpflegerin gearbeitet. Ich bin verwitwet; Mutter von drei Kindern und stolze Oma. Ein Schlüsselmoment in meinem Leben war die Entscheidung, in Deutschland zu bleiben, nachdem die Diplomatenfamilie, bei der ich als Kindermädchen gearbeitet hatte, das Land verlassen hat. Ich blieb, um hier in Deutschland eine Ausbildung als Krankenpflegerin zu absolvieren – wurde aber mit der brutalen Realität des Ausländerdaseins konfrontiert. Ich stand vor dem Nichts und musste um die Legalisierung meines Aufenthaltes kämpfen. Es waren sehr harte Zeiten, die mich geprägt haben, nicht nur, weil sie schwierig waren, sondern weil ich in dieser Zeit sehr viel über mich und die Menschen gelernt habe; ein Gewinn für meine soziale Intelligenz.
Warum sind Sie in die Politik gegangen?
Die Entscheidung, mich politisch zu engagieren, kam durch Zufall. Ich war zwar schon immer sozial engagiert und in meiner Gemeinde aktiv, habe aber nie daran gedacht, in die Politik zu gehen. Vor etwas mehr als zehn Jahren, als ich schon im Ruhestand war, hat sich in Tostedt eine Gruppe zu einer Wählergemeinschaft zusammengeschlossen und eine internationale Liste für die Kommunalwahl aufgestellt. Ich wurde angesprochen und überredet mitzumachen. So kam ich zu meinem ersten politischen Amt. Meine Gründe und Motive waren eher unspektakulär, würde ich sagen. Ich hoffte, durch dieses Amt vielen Menschen in meiner Gemeinde eine Stimme geben zu können, indem ich ihre Sorgen und Hoffnungen, ihre Anliegen authentisch in die Diskussionen einbringe. Ich hoffte, dadurch etwas zu bewegen und meinen Beitrag zu einer besseren Gesellschaft zu leisten. Inzwischen ist viel passiert und ich bin in meiner zweiten Amtszeit und für eine andere Partei, Bündnis 90/Grüne. Heute muss ich sagen, dass ich diese Entscheidung keineswegs bereue, im Gegenteil. Als Rentnerin eine solche Aufgabe zu haben, ist sinnstiftend und erfüllt mich mit Stolz.
Was sind für Sie bisher die größten Herausforderungen gewesen und wie haben Sie diese zu überwinden?
In meiner ersten politischen Gruppe habe ich ziemlich bald nach Arbeitsaufnahme festgestellt, dass meine Vorstellungen von Zusammenarbeit und Partizipation und die einiger Kolleg*innen nicht ganz zusammenpassten. Ich fühlte mich nicht ausreichend in Entscheidungsprozesse eingebunden und teilweise nicht ernst genommen. Ich habe das angesprochen und es hat sich nichts geändert. Ich wollte nicht gleich alles hinschmeißen, da mir die Arbeit sehr am Herzen lag und ich den Wählerauftrag sehr ernst nahm. Nach dem Motto „Wenn du es nicht ändern kannst, akzeptiere es; wenn du es nicht akzeptieren kannst, lass es“ habe ich mich für einen Fraktionswechsel entschieden und bin nun seit fast acht Jahren bei den Grünen und sehr zufrieden. Geholfen haben mir in dieser Situation vor allem meine gute Menschenkenntnis und meine Intuition, diese Probleme zu erkennen, denn die Angriffe waren teilweise sehr subtil und unterschwellig. Außerdem konnte ich mich auf meine Entschlossenheit und mein Durchhaltevermögen verlassen.
Was würden Sie jungen Frauen empfehlen, die vielleicht überlegen, einen ähnlichen Weg einzuschlagen?
Mir ist bewusst, dass Politik nicht jedermanns Sache ist. Dennoch ist es mir ein Anliegen, dass junge Menschen, insbesondere junge Frauen, in der Politik vertreten sind. Wir sind gerade dabei, im Jugendausschuss einen Jugendrat zu gründen, damit die Jugendlichen einen Ort haben, an dem sie sich zu Themen, die ihnen wichtig sind, äußern und mitentscheiden können. Ich kann also alle jungen Menschen, die aktiv sind, und das sind sehr viele, die gerne gestalten und etwas bewegen wollen, nur ermutigen, den Schritt zu wagen. Auch in jungen Jahren kann man viel bewegen, gerade in Zeiten, in denen die Zukunft unseres Planeten auf dem Spiel steht, ist die Perspektive der Jungen von großer Wichtigkeit. Dabei ist es wichtig, zielstrebig und durchsetzungsstark zu sein, denn nichts wird einem geschenkt.