“Lege Deinen Fokus auf das, was Dir am wichtigsten ist”
Interview mit Maimuna Sallah
- Können Sie sich bitte in wenigen Worten vorstellen?
Ich bin 31 Jahre alt. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Meine Wurzeln väterlicherseits liegen in Gambia. Zurzeit studiere ich an der Universität Bremen den Masterstudiengang Transnationale Literaturwissenschaft. Dabei geht es um Literatur, Theater und Film. An der Uni arbeite ich auch als studentische Mitarbeiterin in der Antidiskriminierungsstelle. Nebenbei engagiere ich mich vor allem als Aktivistin gegen Rassismus und mache so ein bisschen politische Bildungsarbeit als Referentin. Ab und zu bin ich auch bei Literaturfestivals als Moderatorin tätig. Neuerdings bin ich auch Co-Leitung der ersten Schwarzen Kinderbibliothek Deutschlands.
- Welche Inhalte werden in diesem Studiengang vermittelt?
Der Studiengang ist sehr transdisziplinär. Wir beschäftigen uns mit Literaturen aus der ganzen Welt. Dabei wird vor allem eine postkoloniale Perspektive auf Literatur eingenommen. Im Filmseminar haben wir zum Beispiel auch einen kleinen Film gedreht. Im Theaterseminar haben wir ein kleines Stück inszeniert. Es wird einfach versucht, kulturelle Gegebenheiten in der Gesellschaft aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.
- Was hat Sie dazu bewogen, sich für Ihren Studiengang zu entscheiden?
Ich habe einfach schon immer sehr gerne gelesen, und das schon, seit ich ein kleines Kind war. Das Interesse an afrikanischer Literatur und an afro-deutscher Literatur hat mich dazu gebracht, das zu studieren. Im Bachelor habe ich Deutsch und Philosophie auf Lehramt studiert, weil ich schon sehr lange den Wunsch hatte, Lehrerin zu werden. Aber dann habe ich gemerkt, dass ich nicht so gut in den Schuldienst passe und dann vielleicht Dinge unterrichten muss, hinter denen ich selbst nicht stehen kann. Ich wollte lieber etwas Kreativeres machen, auch mit der Befürchtung, dass es dann vielleicht schwieriger ist, einen Job zu finden, weil es auch ein Studium ist, das sehr viel mit Praktika und sehr viel mit Beziehungen zu tun hat.
- Was sind Ihre Aufgaben in der Antidiskriminierungsstelle der Universität?
Ich bereite Fortbildungen zum Thema Konfliktberatung oder Diskriminierung am Arbeitsplatz vor. Außerdem habe ich mit meinem Kollegen ein Projekt gestartet, in dem wir versuchen, die studentischen Gruppen an der Universität, die diskriminierungskritisch arbeiten, zusammenzubringen, um so eine Art Antidiskriminierungsnetzwerk an der Universität aufzubauen, das von Studierenden geleitet wird. Die Idee hinter diesem studentischen Netzwerk ist es, an der Universität mehr Sichtbarkeit für Menschen zu schaffen, die von Diskriminierung betroffen sein könnten und dass sie sich im Falle eines Falles informieren können, wo sie Hilfe bekommen.
- Haben Sie Vorbilder, die für Sie eine Inspiration oder Motivation waren?
Meine Schwester ist ein großes Vorbild. Sie ist sechs Jahre älter als ich und hat eine zwölfjährige Tochter. Ich bin sehr beeindruckt, wie sie ihr Leben einfach meistert, wie sie arbeitet, wie sie für ihr Kind da ist, wie sie für sich selbst da ist und wie sie mir auch eine gute Schwester ist.
Während meines Studiums fiel mir auf, dass gerade Schwarze Frauen in der Literatur, die wir lasen, sehr unterrepräsentiert sind. Ich bin dann auf eigene Faust auf die Suche gegangen. Ich habe dann viel von Bell Hooks oder Toni Morrison gelesen. Ich war auch auf der Suche nach Autorinnen und Autoren, die in meiner Gegenwart für mich inspirierend sind. Heute lese ich gerne Romane von Sharon Dodua Otoo. Ich möchte auch meine Masterarbeit über ihr Buch « Adas Raum » schreiben. Was die Politik betrifft, so hatte ich Vorbilder wie zum Beispiel Angela Davis.
Aber meine persönliche Einstellung, mich nicht immer mit Rassismus beschäftigen zu wollen und mich auch nicht darüber zu definieren, hat mich dazu gebracht, ganz normale Literatur zu lesen. Vor zwei Jahren habe ich einen Roman von Olivia Wenzel gelesen. Das Buch handelt auch von einer afrodeutschen Frau in ungefähr meinem Alter. Ich fand die Geschichte sehr schön, weil die Autorin es geschafft hat, die Geschichte einer Frau zu erzählen, die zwar Schwarz ist und Rassismus Erfahrungen macht, aber eben nicht nur. Auch wenn Schwarz sein ein Thema war, ging es nicht immer nur darum, um dieses Leid, das damit einhergehen kann.
- Sind Sie als Jugendliche in der Schule und als junge Erwachsene an der Universität zu Ihrer vollen Entfaltung gekommen?
Nein. Ich habe auch Diskriminierung erlebt. Ich musste mich dagegen wehren. Das war sehr schwierig für mich als junger Mensch. Ich bin sehr weiß sozialisiert aufgewachsen, dadurch dass ich eine weiße Mutter habe. Aber trotzdem habe ich von klein auf, wie wahrscheinlich jedes afrodeutsche Kind, gemerkt, dass ich in der Gesellschaft anders behandelt oder anders gelesen werde. Ich glaube, viele Jahre meiner Jugend waren deswegen von großer Unsicherheit geprägt. Ich konnte nicht verstehen, warum Menschen anders auf mich reagieren, wenn ich mich als zugehörig lese, weil ich hier geboren bin. Erst als ich älter wurde und mehr Kontakt zu anderen Schwarzen Menschen hatte, merkte ich, dass es okay ist, wie ich bin.
Bezüglich meines Studiums habe ich in Oldenburg studiert. Oldenburg ist eine relativ kleine Stadt und ich fand es sehr schwierig, aus einer großen Stadt in so eine kleine Stadt zu ziehen. Generell war dieser Schritt, von zu Hause wegzuziehen, weg von der Familie, schwierig. Ich hatte auf jeden Fall Anfangsschwierigkeiten. Ich war mit der Situation überfordert, auch weil ich die erste in meiner Familie war, die angefangen hat zu studieren. Ich konnte das nicht so richtig teilen. Ich habe auch immer nebenbei gearbeitet, weil wir nicht die finanziellen Mittel hatten, um mein Studium zu finanzieren. Das war schon eine doppelte Belastung für mich, aber ich bin immer sehr gerne zur Uni gegangen. Es war auch trotz allem eine sehr schöne Zeit.
- Wie und woher nehmen Sie die Motivation und die Kraft, trotz der Schwierigkeiten weiterzumachen?
Ich finde es wichtig, gerade wenn man nicht mehr in seiner Heimatstadt wohnt und die Familie nicht mehr in der Nähe ist, dass man gute Leute um sich hat. Ich habe in den letzten Jahren durch die politische Arbeit Wert darauf gelegt, dass ich auch eine Community, also andere Menschen, die mir wichtig sind, um mich herum habe.
Ich finde es auch sehr wichtig, manchmal nein zu sagen. Aber auch das lerne ich noch. Ich finde es auch manchmal schwierig, mir selbst meine eigenen Grenzen bewusst zu machen und auch den anderen zu signalisieren, dass jetzt eine Grenze verletzt wird. Auch die Frage, ob ich die Kapazität für Projekte habe, muss ich mir immer wieder stellen. Gerade in unserem politischen Aktivist*innenkreis merke ich oft, dass man das Bedürfnis hat, viel nach außen zu kommunizieren, weil man vielleicht viele Jahre nicht gehört wurde. Aber es ist auch wichtig, nicht zu allem ja zu sagen. Nicht auf jedes Podium zu gehen, nicht bei jedem Projekt mitzumachen, denn man kann die Welt allein nicht retten. Man darf sich nicht ausbrennen lassen. Man muss aufpassen, dass man nicht kaputt geht.
- Welche Botschaft würden Sie der jungen Frau, die Sie vor einigen Jahren waren, mit auf den Weg geben, wenn Sie sie heute treffen würden?
Suche Kontakt zu Menschen, die in einer ähnlichen Lebenssituation sind oder ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Genau solche Projekte – wie das Projekt #Dasschaffstduauch – sind für Dich da! Du bist nicht allein. Du bist nicht schlecht oder komisch, aber die Gesellschaft will ein Bild von Dir zeichnen, das es in Wirklichkeit gar nicht gibt.
Ich möchte, dass sie auch versteht, dass es sehr wichtig ist, dass man sich nach innen wendet und nicht nur nach außen nach Anerkennung in einer weißen Gesellschaft strebt – Wie man das verfolgt, was einem selbst am Herzen liegt und wie man vielleicht Dinge in der Welt verändern kann, die auch für die eigene Gemeinschaft von Vorteil sind. Ich habe zum Beispiel im Januar 2023 in einem Team hier in Bremen die erste Schwarze Kinderbibliothek eröffnet.