„Habt keine Angst, ehrgeizig zu sein“
Interview mit Eva Ali
Können Sie sich in wenigen Worten vorstellen?
Mein Name ist Eva Ali. Ich bin Mutter von drei Kindern, die inzwischen erwachsen sind. Ich wurde in Ost-Berlin geboren und bin in Berlin und Mecklenburg aufgewachsen. Mein Vater, den ich kaum kannte, stammte aus Mali, und meine Mutter, die mich praktisch allein aufgezogen hat, ist Deutsche. Ich arbeite derzeit in einer Leitungsposition im Gesundheitswesen und mag meine Arbeit wirklich gern.
Warum haben Sie sich für ein Studium der Betriebswirtschaftslehre entschieden? Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Nach dem Abitur wusste ich nicht wirklich, was ich machen wollte. Es war noch die Zeit der DDR und wir wussten nicht, dass die Mauer bald fallen würde. Damals gab es nicht viele attraktive Studienmöglichkeiten. Alles, was ich wollte, war, nach Berlin zurückzukehren. Da ich mich schon in der Schulzeit für Informatik interessiert hatte, beschloss ich, einen informatikbezogenen Studiengang an der Humboldt-Universität zu beginnen. Nach dem Fall der Mauer wechselte ich ins Fach Wirtschaftsinformatik. Im Vordiplom merkte ich, dass mich die Wirtschaft doch mehr interessierte als die Informatik. So habe ich schließlich den Diplom-Abschluss in Betriebswirtschaftslehre gemacht. Zu dieser Zeit war ich bereits in einer Beziehung mit meinem Mann. Er hatte Medizin studiert und war in einem Krankenhaus tätig. Das Controlling wurde in den Krankenhäusern gerade erst eingeführt. So bin ich gleich zu Beginn meiner Karriere im Gesundheitswesen gelandet.
Sie haben eine besondere Leidenschaft für das Lesen. Welchen Einfluss hat es auf Sie gehabt?
Ich war schon immer eine Leseratte, und Bücher haben mir geholfen, meinen Horizont zu erweitern. Es gab noch kein Internet und keine sozialen Netzwerke. Die jungen Leute hatten also eine Menge Zeit zur Verfügung. Ich habe fast jedes Buch aus dem Bücherschrank meiner Großmutter oder meiner Mutter gelesen. Auch heute noch bereitet es mir viel Vergnügen, diese kleinen Momente der Freude zu schaffen, wenn ich ein Buch lese und dabei eine Tasse Tee trinke. Ich lese vor allem Gegenwartsliteratur, aber auch immer wieder gerne die Romane von Jane Austen. Ich gehöre einem Frauen-Literaturclub an. Wir treffen uns regelmäßig, um über ein von uns gelesenes Buch zu diskutieren. Das letzte Buch, das mich ganz besonders beeindruckt hat, ist „Americanah“ von der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozie Adichie. Auch das Buch der Autorin Alice Hasters, „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“, fand ich sehr lesenswert.
Musik und Sport spielen in Ihrem Leben auch eine wichtige Rolle…
Ich habe immer viel gesungen, schon seit ich ein kleines Mädchen war, mit meiner Mutter und meiner Großmutter und im Schulchor. Ich habe auch Gitarre gespielt. Ich liebe Musik vieler Genres, aber ganz besonders die klassische Musik und bin zu Beginn meines Studiums in den Chor der Humboldt-Universität in Berlin eingetreten. Dort lernte ich meinen Mann kennen, der ebenfalls im Chor sang. Die verschiedenen kulturellen und sportlichen Aktivitäten – ich habe während der Schulzeit an vielen Leichtathletikwettkämpfen teilgenommen – stärkten in der Jugend mein
Selbstbewusstsein. Ich muss sagen, dass in der DDR der Wettbewerbsaspekt in Schule und Sport einen Einfluss auf meine Motivation hatte, mich immer wieder anzustrengen und weiterzukommen. Erfolge haben mir gezeigt, dass ich die Fähigkeit habe, das zu tun, was ich möchte. Der Besuch von Konzerten und das Singen und Laufen sind für mich heute ein wichtiger Ausgleich im beruflichen Alltag.
Wurden Sie aufgrund Ihrer Hautfarbe diskriminiert?
Ich wuchs als einziges schwarzes Kind auf, umgeben von weißen Menschen, abgesehen von meinem Cousin, der ebenfalls einen schwarzen Vater hat. Er war der Einzige, der wie ich aussah, und wir verbrachten viel Zeit miteinander. Er konnte mich besser verstehen, weil er im Kindergarten und in der Schule den gleichen Hänseleien ausgesetzt war wie ich.
Woher haben Sie die Kraft und den Mut genommen, die Schwierigkeiten zu überwinden, die Sie hatten?
Meine Familie hat mich immer unterstützt, aber ich habe versucht, mir nicht anmerken zu lassen, dass diese Angriffe mich verletzten und ängstigten. Manchmal wünschte ich mir eine andere Hautfarbe, aber mit der Zeit habe ich gelernt, mich zu lieben und stolz darauf zu sein, wer ich bin. Ich habe auch viele wunderbare Menschen und Freunde getroffen, die viel Positives in mein Leben gebracht haben. Die positiven Erfahrungen waren glücklicherweise in der Mehrzahl.
Welchen Rat können Sie einem jungen schwarzen Mädchen geben, das mit dem Studium beginnt oder den gleichen Beruf wie Sie ergreifen möchte?
Es ist wichtig, dass sie sich mit guten Menschen umgibt, und es hilft auch, Freunde zu haben, die so aussehen wie sie und die die schwierigen Momente verstehen können, die mit ihrer Hautfarbe zusammenhängen und die sie erleben könnte. In der Schule und im Studium sollte sie von Anfang an fleißig lernen, viel lesen, nachschlagen, es sich nicht zu leicht machen – Sprache und Mathe sind wichtig. Ich habe mich damals etwas zu viel ablenken lassen von der neuen Freiheit als Studentin, besser ist es, gleich dranzubleiben. Jedenfalls habe ich nie gedacht, dass ich etwas nicht schaffen könnte. Daher mein Rat: an sich selbst glauben, hartnäckig sein, nicht aufgeben und keine Angst haben, große Ziele zu haben.