Bildung ist der Schlüssel für alles!
Interview mit Irene Appiah
- Stellen Sie sich gerne in wenigen Worten vor?
Ich heiße Irene Appiah, ich bin 45 Jahre alt und lebe in Hamburg. Ich habe einen 18-jährigen Sohn und arbeite seit 2010 für die Behörde für Schule und Berufsbildung in Hamburg. Ich war damals in juristischer Ausbildung gewesen und habe für fünf Jahre in diesem Bereich gearbeitet. Nebenher bin ich politisch aktiv und mache viel für die Black Community.
- Weshalb haben Sie sich für diesen beruflichen Werdegang entschieden und später dann gewechselt?
Seitdem ich zehn Jahre alt war, wollte ich immer Rechtsanwältin werden. Natürlich will man als Kind vieles werden, ich wollte auch Sängerin und Tänzerin werden. Aber als ich zehn war gab es dann im Fernsehen die Serie L.A. Law. Ich fand das damals sehr spannend, da die Frauen in der Serie etwas zu sagen hatten und immer sehr schick angezogen waren und die Leute dann auch verbal in die Schranken gewiesen haben.
Doch das Leben spielt oft anders. Ich habe mit 36 die erste staatliche juristische Prüfung hinter mich gebracht und während meines Studiums fünf Jahre in einer Kanzlei gearbeitet. Diese wurde geführt von der ersten Schwarzen Rechtsanwältin in Hamburg, die sich sesshaft machte. Ich habe als Assistenz Fälle mit ihr zusammen gestaltet. Nach fünf Jahren habe ich aber bemerkt, dass Recht und Gerechtigkeit zwei Paar Schuhe sind.
Zwischenzeitlich bin ich über die Senatskanzlei zur Schulbehörde gekommen. Denn zu dieser Zeit wurden Aktionspläne gestartet, um Menschen für die Verwaltung zu begeistern, sowie um Schüler*innen zum Reflektieren und Motivation anzuregen. Im Jahr 2010 habe ich dann die Planung der Motivationsworkshops übernommen. So war ich neben meinem Studium und meiner Tätigkeit in der Anwaltskanzlei auch in der Schulbehörde tätig. Dort stellte ich sehr schnell fest, dass es im Bereich Bildung Lücken für Schwarze Schüler*innen gibt. „Bildung ist der Schlüssel für alles.“
Mein Plan war es nie im Bereich der Bildung zu arbeiten, mein Weg hat sich im Laufe der Jahre so ergeben. Für Schüler*innen ist es wichtig, den höchstmöglichen Abschluss zu erzielen. Durch unser durchlässiges Bildungssystem, kann dadurch immer wieder ein höherer Abschluss erlangt werden.
- Was sind Ihre größten Herausforderungen angefangen vom Studium bis hin zur Arbeit, die Sie bis heute gemacht haben?
Das Staatsexamen war meine größte Herausforderung und das Studieren mit Kind. Ich hatte keine Eltern, die mir das komplette Studium finanzieren konnten. Zu studieren und zeitgleich die Verantwortung für meinen Sohn zu tragen war nicht immer einfach. Während meiner eigenen Schulzeit habe ich nicht gelernt, wie man lernt. Trotzdem war ich eine gute Schülerin und Studentin. Vor meinem Staatsexamen konnte ich mich von Vorlesung zu Vorlesung schlagen. Mit dem Start des Examens merkte ich erst was das Jura Studium wirklich bedeutete. So habe ich das Staatsexamen erst nach dem dritten Anlauf geschafft. Sich dafür immer wieder zu motivieren ist nicht einfach, aber durchaus möglich.
2013 bis 2015 war für mich ebenfalls eine schwierige Zeit, da ich nach meinem Abschluss nicht direkt einen Job gefunden habe.
- Was ist das Ziel des Aktionsplans der Stadt Hamburg mit den Motivationsworkshops?
Nachdem von politischer Seite, Deutschland offiziell als Einwanderungsland angesehen wurde, musste jedes Bundesland ein Integrationskonzept entwickeln. Im Zuge dieses Aktionsplans waren verschiedene Bereiche betroffen, unter anderem den großen Bereich „Bildung“. Dabei wurde festgestellt, dass viele Kinder mit Einwanderungsgeschichte bei gleichen Leistungen oft nicht den gleichen Abschluss erhalten und/oder sie werden durch das Bildungssystem vernachlässigt. Mehr als ein Drittel bleibt ohne Abschluss. Gründe dafür gibt es viele. Zum Beispiel eine fehlende Vertretung der Lehrkräfte oder von Beginn an das Gefühl zu haben, nichts in der Schule erreichen zu können. Mit diesem Hintergrund wurde entschieden, dass Vorbilder in die Schulen kommen müssen. Menschen mit Migrationsgeschichten, die ihren beruflichen Erfolg aufzeigen, um die Kinder zu motivieren.
Das Programm hat in erster Linie nicht das Ziel einen Beruf zu finden, sondern die Persönlichkeit der Schüler*innen zu stärken. Um sich mit dem Gedanken – „Ich kann ja doch etwas werden, die hat es geschafft, also kann ich es auch schaffen“ – zu beschäftigen.
- Hatten Sie selber Mentoren auf ihrem Weg?
Nein, ich bin 1990 groß geworden. Da gab es keine Handys, kein Safer Space und keine Vernetzungsmöglicheiten. Man hat das mit sich selbst ausgemacht. Man hat den Film ‚Roots‘ geguckt und war frustriert. Man hat sich die Frage gestellt, weshalb behandeln uns die Menschen so schlecht und wieso ist das Schwarzsein überall auf der Welt ein Problem?
Im Jugendalter haben wir uns als Community langsam gefunden. Da gab es draußen auf der Straße einen Platz, wo wir uns alle immer getroffen haben. Dann kam die Hip-Hop Ära nach Deutschland. Über diese Subkultur haben wir unsere Persönlichkeit ausgelebt und uns selbst gefunden. Danach kam die Phase, da wollten wir lieber amerikanisch oder jamaikanisch sein – bloß nicht afrikanisch, das war viel zu uncool. Zum Schluss kam die Phase, in der du gelernt hast dich selbst so anzunehmen, wie und wer du tatsächlich bist.
Meine Vorbilder waren meine Eltern, als starke Persönlichkeiten, die mir ein Leben in Deutschland ermöglich haben. Davon abgesehen waren meine Vorbilder alle in den USA zu finden. Angefangen von Oprah Winfrey, die mich unglaublich inspiriert hat. Musikalisch hat mich Whitney Houston begeistert und im Schauspiel war es Angela Bassett.
- Welche 3 Tipps würden Sie jungen Schwarzen Mädchen mitgeben?
„Erkenne das Schwarzsein als Potenzial, denn Du strahlst Internationalität aus.“
„Sich selbst nicht so sehr unter Druck zu setzen, denn für jeden gibt es beruflich einen Platz. Mache etwas was Dir Spaß macht, denn deinen Beruf machst du eine ganze Weile.“
„Mut zur Lücke.“ – Nischen können sehr hilfreich sein. Ich hätte früher niemals gedacht, dass ich irgendwann einmal politisch aktiv sein würde. Doch durch das Erkennen der Lücken im System der Schulbehörde, bin ich dort aktiv geworden.